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Full text of "Palästina, Land und Leute"

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f 




Pallstiia 



Land und Leute. 



Reisescbilderimgen 



von 



Berlin 1898 

Verlag: Siegfried Cronbach. 



>u 



Herrn Doctor Hirsch Hildesheimer, 

seinem hochverehrten Freunde, dem eifrigsten Förderer 
aller Bestrebungen zur Wiederbesiedelung Palästinas, 
zum Zeichen seiner Hochachtung und Ergebenheit ge- 
widmet vom 



Verfasser. 



I ■ 



Mei der grossen Anzahl von Reiseschilderungen, 
die heute schon über Palästina vorhanden sind, er- 
scheint es etwas gewagt ein neues Buch Ober dieses 
Land zu schreiben, um so mehr, als ich gamicht in 
der Lage bin, tiefgelehrte Forschungen über die alten 
Baudenkmäler oder die Resultate der Ausgrabungen in 
Jerusalem etc. meinen Lesern zu geben. Dennoch 
dürfte die vorliegende Schrift in dieser umfang- 
reichen Litteratur eine Sonderstellung einnehmen, weil 
ich als Jude und strenggläubiger Jude den Verhält- 
nissen der Juden Palästinas und besonders dem inter- 
essanten Versuche der jüdischen Ackerbaut olonisation 
im heiligen Lande besondere Aufmerksamkeit schenkte. 
Seit 40 Jahren, seit der Reise nach Jerusalem von 
Ludwig August Frankl, ist keine Schilderung einer 
Reise nach dem gelobten Lande von jüdischem Stand- 
punkt aus in deutscher Sprache erschienen. Darum 
glaube ich, dass meine Schrift vielleicht eine Lücke 
ausfüllen kann. 

Ich habe die Verhältnisse in Palästina genau so 
wiedergegeben, wie ich sie im Herbst 1895 sah, obwohl 



— 6 — 

ich die grossen Fortschritte der letzten zwei Jahre 
wohl zu würdigen weiss; doch schien mir eine Rück-^ 
sichtnahme darauf der Schilderung die Naturtreue zu 
rauben. 

Allen unseren Freunden im heiligen Lande, die 
uns damals in reichem Masse durch Liebenswürdigkeiten 
jeder Art die Reise verschönerten, sei dafür an dieser 
Stelle unser wärmster Dank nochmals dargebracht. 





^»" 








I. 

idlich war mein Wunsch seiner Erfüllung 

nahe, nach so langem Sehnen, nachdem ich 

viele Jahre umsonst gehofft hatte, das Land 

der Ahnen, das ehrwürdige Palästina sehen zu dürfen, 

war es mir endlich gelungen die Schwierigkeiten zu 

überwinden, die sich dieser Reise entgegensetzten. Im 

Herbst 1895 erhielt ich den erbetenen Urlaub und die 

Unterhandlungen, die ich mit einigen Zionsfreunden 

gepflogen, schienen auch zum guten Resultat zu führen, 

denn eine ganze Gesellschaft fand sich anscheinend 

bereit, an der Reise teilzunehmen. Allein mannigfache 

Hindemisse stellten sich dennoch wieder ein, ich musste 

Woche um Woche die Abreise verschieben und endlich 

kamen die Herbstfeiertage heran. So ungünstig die 

Zeit indessen war, ich mochte nicht noch länger warten 

und trat schliesslich am 24. September die Reise an, 

nur von einem Freunde, dem Dr. L. b^leitet, da die 

andern erwarteten Teilnehmer teils zurückgetreten waren, 

1 



— 2 — 

teils ihrerseits die Reise schon begonnen hatten. Unsere 
Ausrüstung war die denkbar einfachste, obwohl man 
uns mit allerlei guten Ratschlagen, erbetenen und un- 
erbetenen, überhäuft hatte. War man doch in Berlin, 
selbst in den Kreisen, die es hätten wissen müssen, 
noch der Ansicht, dass eine Reise nach Palästina ein 
ordentliches Wagstück sei, in ein Land, wo es keine 
Hotels und keine Eisenbahnen, ja kaum Wege gäbe, 
wo die wilden Beduinen hausen, das Klima gefährlich 
und kein rettender Arzt zur Hand sei. Vielerlei 
Correspondenzen mit in Palästina ansässigen Juden 
hatten mich indess schon lange zu der Ueberzeugung 
gebracht, dass derartige Fabeln eben Reste alten Vor- 
urteils sind und wir nahmen daher nur mit, was der 
Reisende bei einer sechswöchentlichen Reise in Europa 
ebenfalls mit sich führt. Nicht einmal Waffen hielten 
wir für nötig und wir haben weder diese noch etwas 
anderes vermisst. Eine Reiseapotheke, die wir uns 
schliesslich von einem befreundeten Arzte aufdrängen 
Hessen, brachten wir fast unbenutzt (nur einige 
Rhabarberpillen haben wir gebraucht) wieder nach 
ELause und das Insektenpulver anzuwenden, wovon wir 
einen grossen Vorrat gekauft hatten, bot sich nur einmal 
Gelegenheit und zwar in Neapel. Nicht einmal diese 
berechtigte Eigentümlichkeit von Ganz- und Halbasien 
hat in den jüdischen Kolonien Palästinas der Kultur 



i 

— 3 — 

I 

Stand gehalten. Dagegen leistete uns eine Reihe von 
Empfehlungsbriefen, in erster Linie ein sehr liebens- 
-würdiges Schreiben des Herrn Elie Scheid, Directors 
der unter dem bekannten Protektor stehenden Kolonien, 
:sehr gute Dienste und wir statten dem Herrn Scheid 
nochmals unseren besten Dank dafür ab. 

Am Dienstag, den 24. September reiste ich über 
Breslau, wo ich einen Ta^ bleiben wollte, nach Wien, 
mein Gefährte Dr. L. sollte mir am nächsten Morgen 
folgen und in Breslau wollten wir uns treffen. Indessen 
die Reise begann gleich mit einem kleinen humoristischen 
Abenteuer. Als ich in Breslau zur verabredeten Zeit 
^ur Bahn kam, war Dr. L. nicht angekommen, ich 
musste einen Zug auslassen, telegraphierte nach Berlin 
«nd erhielt die Antwort, dass Dr. L. zur richtigen 
Zeit abgereist war. Das war merkwürdig, aber es 
Hess sich nichts weiter trotz vielfachen Depeschierens 
ermitteln und ich setzte Abends meine Reise nach 
Wien fort, in der Hoffnung, ihn dort zu treffen. In- 
dessen schon in Oderberg, klärte sich die Sache auf, 
denn dort stand Dr. L. wohlgemut auf dem Perron 
mich zu erwarten und erzählte mir schmunzelnd, dass 
«er so gut in der Bahn geschlafen, dass er den Aufent- 
halt des Zuges in Breslau gar nicht gemerkt hatte. 
So konnte es denn vereint weiter gehen und dies war 

besonders für Dr. L. gut, denn im Misstrauen gegen 

1* 



— 4 — 

seine Fähigkeit mit Geld umzugehen und in über- 
triebenem Vertrauen auf meine Kassierertalente hatte 
er mir seine ganze Boisekasse anvertraut und wäre so- 
beinahe in peinliche Verlegenheit gekommen. 

Von Wien ging es ohne Aufenthalt mit der Süd- 
bahn weiter nach Triest, wir hatten kaum soviel Zeit, 
mit einem Fiaker, der aber den Ruf der Wiener Schnell- 
fahrer rechtfertigte, von der Nord- zur Slldbahn zu rasen 
und in den Zug zu springen. Die Strecke ist zu be- 
kannt, als dass ich sie beschreiben dürfte, für uns Nord- 
deutsche indessen, die nur wenig Gebirge vorher 
gesehen hatten und dann auch nur die niedrigen 
Berge der norddeutschen Ebene, wie den Harz etc., bot 
die Fahrt über den Semmering und durch Steiermark 
des Interessanten viel, weniger freilich die Gesellschaft 
in unserem Coup6. Wir hatten Gelegenheit bei den 
mitreisenden österreichischen Glaubensgenossen, jenen 
unverbesserlichen Optimismus wiederzufinden, dessen 
Kurzsichtigkeit schon so viel Schaden angerichtet hat. 
Gerade damals begannen die Antisemiten Wiens ihren 
Siegeslauf, aber die Juden, die wir sprachen, nahmen 
die Sache nicht ernst und meinten, keine Regierung 
würde eine Herrschaft der Antisemiten dulden. Die 
Entwickelung hat ihnen Unrecht gegeben und auch eine 
entschlossene Gegenagitation der österreichischen Juden 
hätte den Sieg der Antisemiten vielleicht nicht auf- 



— 5 — 

Tialten können, aber jene hätten dann wenigstens die 
Ehre gerettet! 

Einen wunderbar schönen Anblick hatten wir gegen 
Ende der Eisenbahnfahrt, als wir uns Abends Triest 
näherten und schon vorher am Meeresufer entlang 
fahrend die See vom prachtvollsten Mondenschein be- 
leuchtet unübersehbar sich erstrecken sahen, während 
die Schlösser und Häuser am Ufer sich klar von der 
Meeresfläche abhoben. In Triest hatten wir einige 
Stunden Aufenthalt, um dann um 1 Uhr Nachts auf 
•den Dampfer zu gehen und uns nach Venedig einzu- 
schiffen. Das Wenige, was wir von der lebhaften öster- 
reichischen Seestadt sahen, gefiel uns recht gut und 
wir bedauerten hier, wie auf der weiteren Reise so 
oft, dass die karg bemessene Zeit meines Urlaubs so 
jzur Eile drängte. 

Das adriatische Meer war ganz ruhig und die 
TJeberfahrt nach Venedig ein rechter Genuss, entzückend 
auch die Ankunft in der alten „Königin des Meeres" 
zu früher Morgenstunde. Am Marcoplatz ging der 
Dampfer vor Anker, wir stiegen in eine Barke und 
Hessen uns zur Bahn rudern und da wir zwei Stunden 
Zeit hatten, so mieteten wir die Barke gleich, um auf 
-den Kanälen der berühmten Seestadt eine kleine Eund- 
fahrt zu halten, die sich reichlich lohnte. Um 9 Uhr 
ging es schon weiter, es war am Tage vor Jomkippur 



— 6 — 

und wir mussten noch bis Bologna kommen, wo wir 
an diesem Feste zu bleiben gedachten, sonst hätten 
wir Venedig nicht so schnell wieder verlassen. Seit 
zwei Tagen hatten wir zudem nichts weiter genossen,, 
als was wir mitgenommen und ausserdem Brot und 
Getränke. In Bologna sollte nun auch unser Magen 
sein Recht erhalten und als wir um 3 Uhr anlangten, 
schickten wir unser Gepäck in das Hotel, wir selbst 
begannen die Suche nach dem koscheren Eestaurant. 
Dies war aber keine leichte Sache, wir verstanden 
beide kein Italienisch und die guten Bologneser kein 
Deutsch oder Französisch. Endlich hatten wir uns doch 
nach der via Battisasso durchgefragt, wo das in Kauf- 
manns Kalender genannte Restaurant Cacciatore sein^ 
sollte. Es fand sich wirklich in einem versteckten 
Winkel, aber o weh! die Wirtin, ihre Tochter, das- 
Zimmermädchen, sie verstanden alle nur Italienisch. 
Nun begann eine amüsante Unterhaltung, alle drei 
Damen redeten mit dem grössten Eifer auf ims ein^ 
nur verstanden wir leider nichts, während iene doch 
begriffen, dass wir essen wollten, übrigens vergnügten wir 
alle uns sehr gut dabei. Schliesslich stellte sich heraus, 
dass die Mittagszeit vorbei und wir erst wieder Abends- 
etwas erhalten konnten. Das war schlimm, aber es 
half nichts, wir redeten unserem brummenden Magen 
mit Kaffe und Kuchen gut zu und benutzten die freie 



Zeit, um in den Strassen Bolognas zu bummeln. Die 
Stadt gefiel uns ausserordentlich und die alten Gebäude 
gaben eine schöne Vorstellung von einer mittelalter- 
lichen italienischen Stadt, in der die Kämpfe zwischen 
Weifen und Gibellinen tobten und die stolzen Adeligen von 
ihren burgartigen Palästen aus sich auf den Plätzen und 
in den Strassen der Stadt Gefechte lieferten. Auch zwei 
schiefe Thürme an der Porta di Ravenna, von denen 
der eine sehr hoch ist, gehören zu den Sehenswürdig- 
keiten Bolognas. Endlich versöhnte das Abendessen, 
das wir um 4V2 Uhr in dem Restaurant Cacciatore 
erhielten, unsem Magen wieder mit der Reise und 
nachdem wir uns zu dem 24 stündigen Fasten gestärkt 
hatten, begaben wir uns um öVa Uhr in die Synagoge. 
In der Jomkippumacht hatten wir ein seltsames Aben- 
teuer. Des Fasttages halber konnten wir nichts unter- 
nehmen und hatten daher schon zeitig unsere Betten 
aufgesucht. Nachts weckt mich Dr. L.: „Bambus, 
es regnet." „Meinethalben, lassen Sie mich schlafen," 
erwiderte ich verdriesslich im Schlafe gestört zu werden, 
drehe mich um und will weiter schlafen. Allein Dr. 
L. giebt keine Ruhe und erklärt mir, dass es im 
Zimmer regnen müsse. Das war nun sehr merkwürdig, 
denn das dreistöckige Hotel machte einen sehr guten 
Eindruck, wir wohnten im zweiten Stock und es war 
gar nicht verständlich, dass es soweit durchregnen 



— 8 — 

sollte. Ich verbitte mir daher, dass mich Dr. L. immer 
im Schlaf stört, er bleibt dabei, dass sein Bett schon 
ganz nass sei. Gerade will ich grob werden, da fällt 
mir ein Wassertropfen auf die Nase und bleibt nicht 
der einzige. Nun half es nichts, ich musste wohl auch 
an den Regen glauben, der schnell so heftig fiel, dass 
die Betten vollständig durchnässt wurden. Des Jom- 
kippur halber konnten wir kein Licht machen, auch nicht 
nach der Bedienung klingeln, wir mussten also in stock- 
finsterer Nacht aus den Betten und uns ein trockenes 
Eckchen im Zimmer suchen, was uns erst nach vieler 
Mühe gelang. Wer beschreibt aber unser Erstaunen, 
als wir nach der so unangenehm verbrachten Nacht 
am Morgen die ganze Stube voll Wasser und unsere 
Anzüge, Kojffer, etc. total durchnässt finden, aber beim 
Heraussehen aus dem Fenster die Strasse ganz trocken 
sehen. Das muss ein Spezialregen in unserem Hotel 
gewesen sein! Die merkwürdige Geschichte fand endlich 
morgens eine scherzhafte Aufklärung, über uns war 
die Waschküche, irgend eine dienende Donna hatte 
dort den Wasserhahn offen gelassen und uns so das 
zweifelhafte Vergnügen eines Regens speziell für uns 
verschafft. Es bedurfte einer ganzen Kompagnie 
Scheuerfrauen, die in unser Zimmer drangen und mit 
Eimern das Wasser heraustrugen, um den Schaden 
einigermassen wieder gut zu machen. Die kleine Epi- 



— 9 — 

sode trug gerade nicht dazu bei, durchnässt, wie wir 
waren, unsere Stimmung zu verbessern, desto mehr aber 
liaben wir später über unseren Spezialregen in Bologna 
gelacht. 

Viel weniger als die schöne Stadt gefiel uns die 
jödische Gemeinde derselben und das religiöse Leben 
der dortigen Juden. Es war ein eigentümliches Miss- 
geschick, dass wir den höchsten Festtag des Jahres in 
einer Umgebung verleben mussten, in der religiöse 
Weihe und Andacht nicht aufkommen konnten. Wir 
waren natürlich zu Kol Nidre in Schul gegangen, pünkt- 
lich um 5Vj Uhr, wie man uns gesagt hatte, aber wir 
fanden noch nicht einmal Minjan dort vor. Die Syna- 
goge selbst, ein kleiner schmuckloser Saal, hatte nur 
72 Sitzplätze, die durch einige hineingestellte Stühle 
€tc. auf etwa 100 erweitert werden konnten. Da die 
Gemeinde 820 Seelen zählt und dies das einzige Gottes- 
haus ist, muss das Bedürfnis nicht gross sein. Wir 
sahen aber bald, dass selbst der kleine Raum noch viel 
zu gross sei für die Beter, denn nachdem um 6V2 Uhr, 
also eine Stunde nach dem offiziellen Beginn, endlich 
Miiyan zusammen gekommen war, natürlich uns zwei 
Fremde mitgerechnet, füllte sich die Synagoge nur 
mühsam nach und nach und erst kurz vor Schluss des 
Gottesdienstes war sie einigermassen voll. Natürlich 
erregten wir einiges Aufsehen, aber leider konnten wir 



— 10 — 

UDS nicht verständigen, denn wie schon erwähnt, ver- 
standen wir beide nicht italienisch, die anwesenden 
Gemeindemitglieder aber keine andere Sprache, sodass 
wir darauf angewiesen waren, mit dem Rabbino Maggiore, 
der wenige Brocken Französisch verstand, einige ünter- 
haltungsversuche zu machen. Ein Versuch, den Dr. L. 
machte, sich mit diesem geistigen Führer der Bologneser 
Juden in hebräischer Sprache zu unterhalten, scheiterte 
kläglich. Man bat uns am Morgen pünktlich in der 
Synagoge zu sein und wir kamen dieser Bitte nach, 
aber leider fast allein, erst um 8 Uhr kam der Ober- 
rabbiner und dann allmählich auch Minjan zusammen. 
Aber welch eine Andacht war dies überhaupt! während 
Rabbiner, Vorbeter und zwei Assistenten die Gebete 
sprachen, ging die Unterhaltung hin und her, jeden 
Augenblick standen die Leute auf, machten sich gegen- 
seitig Besuche, redeten den Oberrabbiner oder den 
Vorsteher an und kein Mensch kümmerte sich um Ord- 
nung. Nicht einmal während der Predigt schwieg das 
Geplauder und ich habe Leute beobachtet, die während 
der ganzen Zeit ihrer Anwesenheit nicht ein Wort ge- 
betet haben. Freilich waren die meisten nicht lange 
in der Synagoge, zu jeder Mahlzeit begann das Gehen 
und Kommen von neuem und es war buchstäblich kein 
Mensch den vollen Tag unausgesetzt im Gebetsraum. 
Und die Toilette der Leute gar! In Werktagskleidern, 



r 



— 11 — 

beschmutzt, bestaubt, mit der brennenden Cigarette im* 
Munde, dem Stöckchen in der Hand, so kamen sie am 
Jomkippur in die Synagoge. Kaum, dass sie in der 
Vorhalle die Cigaretten aus der Hand legten, die 
Stöcke aber nahmen sie mit hinein. Der Vorbeter 
konnte nicht leinen, der Oberrabbiner las ihm aus einem 
punktirten Texte in seinem Buche vor und jener sprach 
nach, aber ohne dass jemand wusste, an welcher Stelle- 
der Thorarolle das gelesene stand. Kurz es war eine* 
Travestie des Gottesdienstes, wie ich sie noch nicht 
gesehen hatte und nicht wieder zu sehen hoffe. 

Angewidert von diesem Benehmen und bedauernd, 
dass wir den hohen Festtag in solcher Umgebung ver-^ 
bringen mussten, verliessen wir um 6V4 Uhr nach Schlus^ 
des Gottesdienstes die Synagoge, um in aller Eile in 
das Hotel zu stürmen und direkt auf die Bahn zu 
fahren. Es war die höchste Zeit, denn um 7 Uhr ging 
der Zug und wir konnten als einzige Erfrischung nach 
dem Fasten nur rasch eine Tasse schwarzen Kaffes^ 
herunterstürzen. Unterwegs fanden wir noch einen 
Moment Zeit etwas Brot zu kaufen, das wir dann im-. 
Coup6 verzehrten. 

Im Allgemeinen fanden wir die Italiener stets^ 
liebenswürdig xmd zuvorkommend, und da wir in der 
dritten Klasse fuhren, es iu Italien aber keine vierte- 
giebt, so kamen wir ziemlich viel auch mit den imterea 



— 12 — 

Schichten in Berührung, Wir können nur sagen, dass 
dieselben sich sehr nett und gebildet benehmen» Frei- 
lich kamen auch Ausnahmefälle vor, z. B. auf dieser 
Nachtreise sass ein entlassener Soldat im Coup6, der 
mit seinenErlebnissen und Sprachkenntnissen renommine, 
in Massauah gekämpft haben wollte und auf die ^porci 
tedesci", die „deutschen Schweine" schimpfte. Als ihn 
nun aber Dr. L. erst französisch, dann englisch, 
spanisch, schliesslich arabisch ansprach und er nicht 
darauf zu antworten wusste, hatten wir die Lacher auf 
unserer Seite und dem Renommisten wurde die Sache 
dann ungemütlich, so dass er in ein anderes Coupö 
stieg. Dagegen fuhr ebenfalls mit uns ein freundlicher 
Älterer Herr, mit dem wir uns ganz gut unterhalten 
konnten, er hatte einmal lateinisch gelernt und suchte 
nun diese seine alten Kenntnisse hervor, während auch 
wir die klassische Sprache der alten Römer radebrechten. 
So ging die Sache ganz gut, bis wir bei Tagesanbruch so- 
viel zu sehen bekamen, dass wir die Gespräche vergassen. 
Wir fuhren jetzt durch Unteritalien und die weissen 
Städte, die sich so scharf von der Umgebung abhoben, 
die wie eingestaubt aussehenden Olivenwaldungen mit 
ihren graugrünen Blättern, das nahe adriatische Meer, an 
dessen Küste wir fuhren, und last not least, die fremd- 
artigen Menschentypen, alles fesselte unser Interesse. 
<3egen Abend kamen wir in Brindisi an und eilten 



— 13 — 

sofort nach dem Hafen, wo der grosse englische Dampfer^ 
mit dem wir fahren wollten, schon lag. Hier erhielten 
wir die betrübende Nachricht, dass kein Platz mehr 
sei, und dass wir, es war Sonntag, bis Mittwoch warten 
mtissten. Dann ging wieder ein Dampfer und zwar 
einer des österreichischen Loyd. Was half unser Murren? 
wir mussten uns den Aufschub gefallen lassen und 
versuchten, die Sehenswürdigkeiten von Brindisi in 
Augenschein zu nehmen. Allein deren gab es keine, 
es hätten denn die Massen Fliegen sein müssen, denn 
soviel dieses lästigen Geschmeisses hatten wir noch 
nicht gesehen. Brindisi ist eine schmutzige Stadt, der 
Hafen war, trotz einiger Ozeandampfer ziemlich tot, 
eine jüdische Gemeinde giebt es nicht, so dass uns 
jeder Anknüpfungspunkt fehlte und wir fassten daher 
raschen Entschluss. Noch drei Tage unsere Speisen und 
Getränke, ja eigentlich uns selbst gegen die Angriffe 
der Fliegen verteidigen, wäre zu schwer gewesen, wir 
setzten uns Montag früh auf die Bahn und fort ging 
es quer durch Italien nach Neapel. 

Die Eisenbahnstrecke führt durch wenig bewohnte* 
Land, zuerst nach Taranto, dessen entzückende Lage 
sich unserem Gedächtnisse fest einprägte, dann nach 
dem alten Samnium, dessen von Schluchten durch- 
schnittenes Terrain mit zahllosen Bergen und Hügeln 
einen sehr interessanten Anblick bot. Leider liegt hier 



— 14 — 

fast alles wüst, die Hirten weiden hier ihre Schafe 
mit der Flinte auf dem Rücken, während weder Wälder 
noch Dörfer oder Getreidefelder zu sehen sind. Nur 
an den Bergen hängen die Gebirgsstädtchen, ein über- 
aus malerischer Anblick. Oft sind in diesen kleinen 
•Städten auch die Ruinen alter Burgen zu sehen, fast 
alle sind noch heute mit Mauern umgeben. Das durch- 
schnittene Terrain macht viele Tunnels nötig auch 
halb offene Galerien, einmal geht sogar der Zug in 
einem Tunnel quer durch den Berg, auf dem das 
Städtchen Picerno liegt. An interessanter Reisege- 
sellschaft fehlte es uns nicht und wir konnten allerlei 
Volksstudien machen. Einige Handwerker, die uns 
begleiteten, sangen uns die Garibaldihymne, worauf 
ihnen Dr. L. zum Dank das schöne Lied mit allen 
Variationen lehrte: 

Liebe Tante, sei so gut, 
Schenke mir 'nen Cylinderhut etc. 
Die eifrigen Schüler glaubten natürlich die deutsche 
Nationalhymne zu lernen. Mit einem anderen Reise- 
genossen, einem gescheuten, jungen Manne von 17 Jahren, 
Gymnasiasten in Metapont, schlössen wir gar Duz- 
brüderschaft und als wir uns verabschiedeten, trennten 
wir uns nach süditalienischer Sitte mit heralichen Küssen 
und Umarmungen. Ob wir ihn wohl einmal wieder- 
tsehen werden? 



— 15 — 

War schon die bisherige Fahrt landschaftlich sehr 
anregend gewesen, so war es der folgende Teil noch 
mehr, wir kamen nämlich jetzt an den vielgepriesenen 
Golf von Salemo und dann an den Meerbusen von 
Neapel. Diese Gegend ist wahrlich eine Perle der 
Erde und von allen den schönen Landschaften, die wir 
auf der weiten Reise gesehen haben, die bei weitem 
schönste, den See von Tiberias allein ausgenommen. 
Links von der Bahn die mit grossen und kleinen Schiffen, 
mit Ozeandampfern wie mit Segelboten und Ruderkähnen 
belebte See, rechts die wundervoll bewaldeten Berge, 
dann der Vesuv mit der Rauchsäule über dem Gipfel, durch 
die von Zeit zu Zeit Flammen leuchteten, rings die 
blühenden Städte und Dörfer und die ganze Gegend 
tibersäet mit einer M enge von Villen, die aus dem Grün 
der Wälder hervorleuchten, alles in derStinmiung des eben 
dämmernden Herbstabends, es war ein zauberhafter An- 
blick, den wir in derStunde vor der Einfahrt in denBahnhof 
von Neapel genossen. „Neapel sehen und dann sterben!" 
Diesen Spruch lernten wir auf unserer Fahrt begreifen ! 

Naturgemäss suchten wir überall zuerst unsere 
Glaubensgenossen auf und so wollten wir es auch in 
Neapel thun. Obschon es 9 Uhr Abends war, nahmen 
wir einen Fiaker an der Bahn und fuhren nach der 
Strada Capeila vecchia, wo nach Kaufmanns Kalender 
6in koscheres Restaurant sein und ein Rabbiner Pro- 



— 16 — 

fessor Cameo wohnen sollte. Aber wir wurden arg- 
enttäuscht, einen Professor Cameo kannte man dort gar 
nicht, ein jüdisches Restaurant auch nicht und schou 
der Begriff Jude schien unbekannt. Spät war es und 
lange suchen ging nicht an, wir nahmen daher zunächst 
ein Logis in einem Hotel zweiten Ranges und fanden 
hier Gelegenheit das mitgenommene Zacherlin zu ver- 
wenden. Frtth am Morgen begann die Suche nach den. 
Juden wieder, deren es doch Tausend in Neapel geben 
sollte. Der Wohnungsanzeiger, der in seinem Schluss- 
teile ähnlich wie bei uns die Confessionen aufzählt, weiss 
nichts von Juden, in dem Cafe Gambrinus, wo es deutsch 
redende Kellner gab, konnte man uns nichts weiter 
raten, als uns an die Polizei zu wenden und wir machten, 
denn auch diesen Versuch. Dort empfing man uns 
sehr liebenswürdig, war gleich zur Auskunft bereit und 
schrieb uns die Adi-esse der Synagoge auf. Da diese 
aber in einem argen Winkel versteckt sein sollte, 
empfahl es sich, gleich einen Führer zu nehmen, mit 
dessen Hilfe wir auch schliesslich hingelangten. In- 
dessen die Mühe war umsonst, die angebliche Synagoge 
war die griechisch-orthodoxe Kirche« Nun ging das- 
Fragen wieder los und schliesslich begann die Suche 
mit unserem Führer aufs Neue. Abermals umsonst, 
denn nun waren wir in die armenische Kirche geraten. 
Nochmals durch Gassen und Qässchen und endlich iu 



— 17 — 

einem Hinterhause wieder eine christliche Kirche. Jetzt 
zurück zur Polizei: „wir kennen keine Juden weiter als 
die genannten!?" dasselbe auf dem Hauptbureau der 
Polizei, an der Post ebenso mid wir mussten endlich das 
Forschen aufgeben. Den Rest des Tages benutzten wir zu 
einem Besuch in dem reichen Museum von Neapel und zu 
einem Ausflug nach San Elmo, wobei uns leider das 
schlechte Wetter sehr störte. Endlich Abends beim 
zwecklosen Herumschlendern in den Strassen finden wir 
ein Firmenschild mit der Aufschrift: „Baruch Fratelli." 
Hurrah, endlich Juden! Es waren auch solche, der 
Inhaber, der zeitweilig in Hamburg gelebt hatte, sprach 
sogar noch etwas Deutsch und gut Französisch, er er- 
zählte uns, dass in Neapel einige hundert Juden leben, 
die aber alles jüdische soweit abgestreift haben, dass 
das Volk sie gar nicht mehr als Juden kennt. 

Neapel erscheint dem Nordländer schon äusserst 
fremdartig, die Leute leben auf der Strasse, dort essen 
sie, dort schlafen sie, dort arbeiten sie sogar, wenn sie 
dies überhaupt für nötig finden. Abgesehen von den 
wenigen schönen Hauptstrassen macht Neapel einen 
sehr schmutzigen Eindruck, in den kleinen Neben- 
gässchen läuft allerlei Vieh und Geflügel so frei auf 
der Strasse umher, wie bei uns auf dem Hofe, früh- 
morgens sahen wir, wie der Hirt durch die Strassen 
zog, vor manchen Häusern stehen bleibend und schellend. 



— 18 — 

worauf dann KQhe resp. Ziegen herausgefOhrt wurden, 
mit denen er weiter auf die Weide zog. Abends hatten 
wir wieder das Schauspiel den Hirten seine Herde stück- 
weis abliefern zu sehen. Gelegentlich kommt wohl 
auch ein Milchmann mit einer Kuh, die er in der 
Strasse melkt, um den harrenden Leuten sofort die 
Milch in ihre Töpfe zu füllen. 

Auch in Bezug auf die Bettelei ist Neapel obenan. 
In keiner andern Stadt sind wir so oft und so unver- 
schämt angebettelt worden und nirgends, selbst im 
Orient nicht, ist das Bakschischgeschrei so lästig, wie 
in Neapel. Uebertroffen wird diese Belästigung nur 
noch von einer anderen, nämlich von der Hartnäckigkeit, 
mit der die Fiakerkutscher das Publikum zum Fahren 
einladen. Wiederholt ist solch Kutscher 5 Minuten 
lang neben uns hergefahren uns immer von neuem zum 
Einsteigen einzuladen. Die Aufdringlichkeit der Neapoli- 
taner Kutscher hat nur noch ein Seitenstück, das sind 
die Kairenser Stiefelputzer. 

Es ist selbstverständlich, dass nach so kurzem 
Aufenthalt man nicht an eine eingehende Beschreibung 
denken kann, haftet doch auch der Blick nur an dem 
äusserlichsten und nur dieses soll wiedergegeben werden. 

Am Montag waren wir angekommen, Mittwoch 
früh verliessen wir Neapel wieder um nach rascher 
Beise durch das schöne Italien Abends in Brindisi ein- 



— 19 — 

zutreffen, wo unser Dampfer schon lag. Da wir uns 
diesmal die Plätze telegi'aphisch gesichert hätten, so 
w^aren nicht mehr viele Formalitäten zu erledigen, wir 
tonnten uns bald auf das Schiflf begeben und fort ging 
-es, dem ersehnten Ziele zu. 

II. 

Die Seefahrt ist manchmal ein Genuss, manchmal 
auch nicht! Das wurden wir gewahr, als sich unser 
Dampfer in Bewegung setzte, und ich rate jedem, der 
das Mittelmeer zu durchfahren beabsichtigt, wenn es 
ihm irgend möglich ist, sich einen grossen Dampfer, 
am besten einen der Indien- oder Australienfahrer aus- 
zusuchen, es sei denn, er wäre völlig seefest. Wir 
ifvaren nicht so klug gewesen, unser Dampfer war ein 
kleines Schiff des österreichischen Lloyd von älterer 
Bauart und nur sehr massig und ohne jede Eleganz 
«eingerichtet. Die „Thalia" rollte und stampfte trotz 
der ruhigen See fürchterlich und wir litten daher stark 
xmter der Seekrankheit. Während Dr. L. schon den 
zweiten Tag wieder munter war, konnte ich mich 
während der ganzen Fahrt nicht erholen, trotzdem das 
Wetter prachtvoll und das Meer spiegelglatt war, bis 
-wir an das Land kamen. So hatte ich auch wenig 
von der Reisegesellschaft, obwohl manche interessante 
Leute darunter waren, so ein Lazaristenpater aus Köln, 



— 20 — 

der nach dem Orient ging, die dortigen Klöster seines 
Ordens zu revidieren, und mit Dr. L. religiöse Ge- 
spräche anknüpfte, auch natürlich vergebliche Be- 
kehrungsversuche machte. Dann reiste ein jüdisches 
Ehepaar mit, das geflissentlich vermied, sich als Juden 
zu erkennen zu geben und mit offenbarem Staunen sah, 
dass zwei gebildete Europäer noch so »veraltet" sein 
konnten, die Speisegesetze sogar auf dem Schiffe zu 
beobachten. 

Am Mittwoch Abend waren wir auf das Schiff 
gegangen, Sonnabend gegen Mittag näherten wir uns 
schon der ägyptischen Küste, was man lange, ehe man 
sie sah, an der grünen Farbe des Meeres erkennen 
konnte. Unser Dampfer musste in Alexandrien zwei 
Tage Station machen, diesen Aufenthalt wollten wir zu 
einer Fahrt nach den Pyramiden ausnützen. Nach- 
mittags kam Alexandrien in Sicht; die erste Stadt des 
Orients, die wir betreten sollten, lag hingestreckt an 
dem niedrigen, sandigen Ufer mit seinem grossen, reich 
belebten Hafen resp. Rhede, in dem wir Schiffe aller 
Nationen, darunter auch gewaltige Panzerschiffe er- 
blicken konnten. Sobald der Sanitätsoffizier unser 
Schiff freigegeben, begann nun das oft beschriebene 
orientalische Gewühl. Alexandrien ist ja eine Grenz- 
stadt des Orients und Occidents, das sah man sofort 
bei der ersten Annälierung, und so war denn auch die 



— 21 — 

Menschenmenge, die sich auf unser Schiff stürzte, aus 
•den mannigfaltigsten Elementen zusammengesetzt. Echte 
Orientalen in langen, bunten, vielfach geflickten und 
noch öfter zerrissenen Hemden, dazv^ischen Europäer 
nach der neuesten Mode von Paris gekleidet, bald mit 
dem Fez, der roten Filzmütze, bald im schönen Gegen- 
satz dazu mit dem spiegelblanken Cylinder auf dem 
Kopfe, kohlschwarze Neger, braune und gelbe Aegypter, 
sonnenverbrannte Europäer, die schon halb oder fast 
ganz orientalisiert waren, und andere neu Angekommene, 
deren helle Farbe sich noch ebenso auffällig in dem 
Gewühl geltend machte, wie ihre weissen Tropenanzüge. 

Noch eigentümlicher ist natürlich der Gegensatz 
bei der Damenwelt. Neben der alten Negerin, die ihrer 
Hässlichkeit halber nicht verschleiert zu gehen braucht, 
•die Araberin mit dem eigentümlichen Schleier vor dem 
Gesichte, der die Augen frei lässt, in den mannig- 
faltigsten meist dunkelen Farben gekleidet, die einge- 
borene Christin, die unverschleiert geht und die Pariser 
Mode mit wenig Geschick zu copieren bestrebt ist und 
die Europäerin der verschiedenen Länder, die noch 
die Mode ihres Heimatlandes befolgt. Es ist ein bunter, 
aber sehr interessanter Mischmasch, den das Sprachen- 
gewirr noch babylonischer macht. 

Zahllose Lastträger in allen Farben, die sich auf 
unser Gepäck stürzen, und daneben wüi*dig drein- 



— 22 — 

schauende europäische Hoteldiener, die die Reisenden 
anrufen. Mit Mühe erwehren wir uns der aJlzugrossen 
Zudringlichkeit und übergeben unser Gepäck einem 
Diener aus dem Hotel des Voyageurs. Die Douane in? 
der ägyptischen Hafenstadt, offenbar von englischen 
Beamten organisiert, zeichnet sich durch ihre Akkuratesse 
ebenso wie durch die Höflichkeit ihrer Beamten vorteil^ 
haft vor allen, die wir auf der Reise kennen gelernt 
haben, aus. Da man an unserer Sprache merkte, das» 
wir Deutsche seien, wurde sofort ein deutschsprechender 
Beamter gerufen und sagte uns auf das liebenswürdigste 
Bescheid. Auffallenderweise empfahl er uns eindringlich 
auf der Douane kein Bakschisch zu geben. Alle Be- 
amte werden ausreichend bezahlt, Bakschisch durchaus 
nicht geduldet. 

Nachdem wir uns auf dem Gange nach dem Hotel 
einen Teil der Stadt angesehen und uns ein wenig" 
restauriert hatten, dabei schon diverse Ueberfälle von 
Stiefelputzern hatten abschlagen müssen, gingen wir zu 
Mouze Schabbes in die von Baron Menasche erbaute 
grosse Synagoge. Auch hier derselbe babylonische 
Wirrwarr, neben dem aus Moskau 1891 ausgewiesenen 
Russen der vor der Tyrannei des Scherifs von Marokko- 
geflüchtete Marokkaner, in dessen Siddur ein Jude aus 
Temen mit hineinsieht. Rechts von uns steht ein junger 
Mann, der, wie wir bald von ihm hörten, aus Tunis- 



eingewandert ist, links ein Sefardi aus Konstanti- 
nopel. 

So verschieden, wie die Typen der Personen, war 
auch ihre Kleidung, ein buntes Gemisch von Trachten: 
neben dem glatten Schwarz des Europäers das bunte 
Hemd und der Turban des Orientalen. Aber gerade 
diese Verseliiedenheit des Aeusseren hob den Eindruck 
der Einheit, so viele aus so vielen Weltgegenden durch 
mancherlei Geschick zusamraengefllhrte Juden sprachen 
hier dieselben Gebete in der gleichen Sprache mit 
gleicher Andacht. So führt uns unsere Religion, wohin 
wir verschlagen werden, immer wieder zusammen und 
diejenigen, die unsere heilige Sprache aus dem Gottes- 
dienst verdrängen wollen, ihnen wäre ein solcher er- 
hebender Anblick zu wünschen, sie sollten einmal 
sehen, wie sich die jüdischen Beter ans allen Weltenden 
zusammenfinden können, weil ihnen allen noch die 
hebräische Sprache die heilige ist und sie an ihr eine 
gemeinsame Grundform fUr den jüdischen Gottesdienst 
überall besitzen. Leider ist es nur um den Unterricht 
unserer Glaubensgenossen in Alexandrien noch schlecht 
bestellt und hier könnten die Juden Westeuropas 
helfend eingreifen. Äeusserst eigentümlich ist, wie sich 
in Alexandrien Orient und Occident berühren, wie sich 
oft unmittelbar neben den europäisch gebauten grossen 
öffentlichen Gebäuden echt ägyptische Lehmhütten 



i 



— 24: — 

finden, während die Palmen alle öffentlichen Plätze 
schmücken. 

Der Tmiesier, ein Herr Zagdouni, nahm sich unser 
mit grösster Liebenswürdigkeit an und machte für den 
Rest des Abends unseren Führer. Durch ihn fanden 
wir auch ein koscheres Eestaurant, wo wir unseren 
von der schmalen Kost auf dem Schiff ausgehungerten 
Magen wieder zufriedenstellen konnten. In diesem 
Restaurant tranken wir auch Wein von Rischon Lezion, 
der hier, wo er minimalen Zoll kostet, sehr billig ist. 

Ungleich orientalischer nach allen Richtungen hin 
ist Kairo, die Hauptstadt Aegyptens, wohin uns am 
nächsten Morgen der Schnellzug führte. Freilich ist 
auch hier der europäische Einfluss vor allem durch die 
Engländer sehr stark und einige Viertel sind ebenfalls 
mit europäischen Gebäuden reich versehen. Auch die 
Hotels sind vollkommen für die Europäer eingerichtet, 
aber auf der Strasse tritt er doch gegenüber der grossen 
üeberzahl der Orientalen zurück und in den meisten 
Stadtvierteln ist der westliche Einfluss noch sehr gering. 
Wir hatten das Glück, in dem Dolmetscher und Fremden- 
führer des deutschen Hotel Korff (dasselbe war in der Ber- 
liner Gewerbeausstellung, Abteilung Kairo, ebenfalls und 
sehr naturgetreu abgebildet) Herrn Abr. Bemard, einen 
eingewanderten, aber sehr sprach- und ortskundigen 
rumänischen Juden, einen Führer zu erhalten, der mit 



— 25 — 

Verständnis auf unsere Intentionen einging und uns an 
Stelle der gewöhnlich aufgesuchten Museen und sonstigen 
Sehenswürdigkeiten das orientalische Leben und be- 
sonders das Leben unserer kairenser Glaubensgenossen 
zeigte. Unter seiner kundigen Führung und der des Dr. 
Diamant, eines russischen jüdischen Arztes, der inDeutsch- 
land studiert hat, besuchten wir die Judenquartiere. 

Die Juden der grossen Stadt zerfallen offiziell in 
zwei Gruppen, „Juden" und „Karäer." Jede hat einen 
Oberrabbiner „Chacham Baschi" an der Spitze, der 
sie nach aussen hin vertritt und die niedere Gerichts- 
barkeit ausübt. Die Talmudjuden oder Eabbaniten, 
die olfiziell allein Juden genannt werden, zerfallen 
wieder in zwei Gruppen: spagnolische Juden, mit denen 
die alteingesessenen arabischen Juden und einige 
Moghrebim völlig verschmolzen sind und Aschkenasim. 

Die Sephardim, die spagnolischen Juden mit den 
ihnen verwandten arabischen, bilden die Hauptmasse 
der israelitischen Bevölkerung und ihre Zahl wurde uns 
auf 20000 Seelen, freilich nur schätzungsweise ange- 
geben. Ihre höchste Autorität ist der Chacham Baschi, 
der bei der Regierung die offizielle Vertretung der 
Juden führt und die gleiche Stellung besitzt wie der 
Patriarch der Kopten oder der höchste Geistliche der 
katholischen Kirche in Aegypten. Er hat seinen eigenen 
Kavassen und ist von Staatswegen Würdenträger. Um 



— 26 — 

seine Stellung zu charakterisieren, sei folgende Ge- 
schichte wiedergegeben, die uns erzählt wurde, deren 
Richtigkeit wir freilich nicht verbürgen können. Bei 
dem alljährlichen Durchstich des Nildammes, mit 
welchem die für das Land so notwendige Ueber- 
schwemmung während grosser Feste eingeleitet wird, 
geschieht in einem Jahr die Arbeit durch die Muhame- 
daner, wobei der oberste Mufti den ersten Spatenstich 
thut und den Segen spricht, im zweiten Jahr durch 
die Juden, deren Chacham ßaschi dann die Arbeit mit 
einem Segensspruch beginnt. Die Sephardim bewohnen 
ein eigenes Quartier, haben auch im Bazar ihre eigenen 
Strassen und es giebt unter ihnen Handwerker aller 
Art, Lastträger, Wasserträger etc., natürlich auch viele 
Kaufleute. Die Mehrzahl ist verhältnismässig arm und 
nur wenige Familien, darunter vor allem die Suarez 
und Kattowi, haben es zu Reichtum gebracht. In ihrer 
Lebensweise unterscheiden sich die Sephardim wenig 
von den Muhamedanem, wie denn auch ihr Quartier 
durchaus dem arabischen gleicht. Die Häuser sind 
meist von Lehmziegeln erbaut, die Strassen auch die 
des Bazars sehr eng und staubig. Kein Wunder daher, 
dass die hygienischen Verhältnisse schlecht sind und 
besonders Augenkrankheiten sehr häufig vorkommen. 
Obwohl viel von den reichen Juden zur Verbesserung 
der Zustände geschieht, Spitäler und Armenärzte unter- 



en 



— 27 — 

halten werden, auch in den Schulen Bäder eingerichtet 
sind, so kann doch eine durchgreifende Besserung durch 
solche Mittel überhaupt nicht erzielt werden, denn nur 
eine Hebung der sozialen Verhältnisse überhaupt und 
ein Umbau des ganzen Viertels würde Abhülfe schaffen» 
können. 

Die Sephardim halten fast allesamt treu zum alt- 
überlieferten Judentum, sie beobachten streng die- 
Sabbathfeier und die anderen religionsgesetzlichen Vor- 
schriften. In ihren Synagogen, deren sie einige zwanzig 
besitzen, von denen wir nui* zwei besuchten, wird nach 
allgemeinem sephardischen Ritus mit ganz unbedeutenden 
lokalen Verschiedenheiten gebetet. Wir besuchten den 
Chacham Baschi und hatten die Freude in ihm einen, 
sehr gebildeten Mann mit ausgezeichneten Umgangs- 
formen kennen zu lernen, der über die Vorgänge in der 
Welt überhaupt und innerhalb der Judenheit im be- 
sonderen sehr gut unterrichtet ist, Hamelitz und Haze- 
firah liest und an allen allgemeinen Angelegenheiten 
des Judentums den eifrigsten Anteil nimmt. Die Kolo- 
nisation Palästinas durch Juden erfreut sich seiner 
wärmsten Unterstützung, und er erzählte uns mit Genug- 
thuung, dass es seinem thatkräftigen Eingreifen gelungea 
sei, dem Weine der Kolonien vielfach Eingang zu ver- 
schaffen. In der That hatten wir Gelegenheit in 
mehreren Eestaurants in Kairo und Alexandrien dea 



— 28 — 

Wein aus Rischon lo Zion zu trinken. Der Chacham 
Baschi versicherte uns auch för die Zukunft seines 
wärmsten und wo sich Gelegenheit bieten werde, that- 
kräftigsten Interesses für die Kolonisation Palästinas 
durch Juden. 

Bilden die Sephardim eine geschlossene und wohl- 
organisierte Masse, so ist dies leider nicht der Fall 
mit den Aschkenasim, deren Zahl man auf 150—200 
Familien mit rund 1000 Seelen schätzt. Es sind dies 
Yon einigen in den Dienst der Regierung angestellten 
Beamten abgesehen, in den letzten zwei Jahrzehnten 
eingewanderte russische und rumänische Juden, welche 
wenig mit einander zusammenhalten. Sie haben zwar 
einen Rabbiner aus Odessa berufen, dem sie aus frei- 
willigen Beiträgen ein bescheidenes Gehalt zahlen, 
allein das Gemeinde- und Vereinsleben kann wegen der 
Uneinigkeit, die unter diesen verschiedenartigen Ele- 
menten herrscht, nicht zur Blüte kommen. Die Asch- 
kenasim wohnen über die ganze Stadt zerstreut, sie 
verdienen ihr Brot als Kaufleute, Handwerker, Hau- 
sierer, Dolmetscher, Fremdenführer etc. schlecht und 
recht. Besonders sind viel Ciganettenfabrikanten, grosse 
und kleine, unter ihnen und obwohl nicht viele der 
aschkenasischen Juden reich sind, so ist doch auch 
wenig eigentliche Armut vorhanden. Wir besuchten 
'ein kleines Theater, in dem im russisch-jüdischen 



— 29 — 

Jargon von Dilettanten gespielt wurde und fanden m 
demselben zwar das Stück selbst nur eine recht schwache 
Hanswurstkomödie, aber voller sehr schöner und eigen- 
artiger Melodien. Dem Publikum, offenbar auf einer 
recht niedrigen Bildungsstufe, sagten die groben Spässe 
des Hanswurst anscheinend sehr zu. 

Die dritte Gruppe der Kairenser Juden, die- 
Karaiten haben wieder ihr eigenes kleines Stadtviertel 
und eigene Strassen im Bazar. Sie sind vollkommea 
arabisiert, die Strassen in ihrem Viertel sind noch enger, 
als im sephardischen Quartier und selbst die Reichen 
unter ihnen leben äusserst bescheiden. Alle bedienen, 
sich der arabischen Sprache, aber sie halten die 
jüdischen Gesetze nach karaitischer Auffassung auf das 
strengste und sind darin womöglich noch rigoroser als- 
die Sephardim. Von der Einfachheit, die unter ihnea 
herrscht, ist das beste Zeichen, dass selbst die Reichen 
sich keine Dienstboten halten, nur der Chacham Baschl 
hat einen Kavassen zum Zeichen seiner Würde, da 
er dem Chacham Baschi der Sephardim im Range 
gleichsteht. Die Karaiten treiben mancherlei Hand- 
werk, besonders die Goldschmiedekunst und es ist inter-^ 
essant im Bazar die Strasse der karaitischen Gold-- 
schmiede zu sehen. Da sitzt Laden für Laden ia 
jedem einzelnen die ganze Familie bei der Arbeit und 
fertigt vor den Augen des Publikums die kostbai-stea 



\ 

V 



— 30 — 

■Geschmeide an. Wir besuchten auch den Chacham 
Baschi der Karaiten und lernten in ihm einen sehr 
intelligenten Mann kennen, für den schon sein Aeusseres 
«ine sehr günstige Meinung erzeugte. Eine echte 
Patriarchengestalt mit langem gi-auen Bart und hoher 
Figur wusste er auch m seinem Wesen bei aller Freund- 
lichkeit die rechte Wtlrde festzuhalten. Er nahm unseren 
Besuch sehr hoch auf und betonte immer wieder „Kol 
Israel achenu", gab uns bereitwillig über allerlei Fragen 
-des karaitischen Bitus Aufklärung und erklärte uns, 
4ass die Karaiten weder Tefillin noch Arba Kaufes 
tragen, dass sie den zweiteu Feiertag nicht halten etc. 
Er führte uns auf unseren Wunsch selbst in die Syna- 
goge, die man mit Schuhen nicht betreten darf. Es 
ist ein einfacher freundlicher Bau, dessen Hauptschmuck 
in den wundervollen kostbaren Teppichen besteht, mit 
denen der Fusshoden belegt ist. Auch den Haupt- 
sehatz dieser Synagoge bekamen wir zu sehen, ein altes 
Bibelmanuscript, auf Lammhäuten in Blattform mit 
Vokalzeichen geschrieben, das nach der eigenen Angabe 
des Schreibers, die noch erhalten ist, 827 nach der 
Tempelzerstörung geschrieben, also aus dem Jahi'e 900 
der üblichen Zeitreclinung ist. Leider ist hei einem 
Brande ein Teil des kostbaren Mannscriptes verbrannt. 
Der Chacham Baschi zeigte lebhaftes Interesse für die 
jüdische Wissenschaft und wir uiussten ihm versprechen, 



^ 



— 31 — 

ihm Büchertitel von Werken in hebräischer Sprache, 
besonders historischen, zu senden, die er gerne kaufen 
wollte. Der Besuch bei dieser imponierenden Persön- 
lichkeit ist eine unserer angenehmsten Erinnerungen 
von dieser Reise. 

Zwischen Sephardim und Karaiten herrscht heftige 
Feindschaft, während die Aschkenasim mit beiden gut 
stehen. Ehen kommen zwischen Sephardim und Asch- 
kenasim selten, mit den Karaiten gar nicht vor. 

Sehr günstig ist die Lage der ägyptischen Juden 
in politischer Beziehung, sie sind den Bekennem anderer 
Confessionen oder viehnehr, wie man im ganzen Orient 
die Sache auffasst, den anderen Nationalitäten voll- 
kommen gleichgestellt, sie haben ebenso wie diese Zu- 
gang zu allen Beamtenstellungen und sind auch häufig 
in allen Zweigen der Verwaltung zu finden. Mit der 
arabischen Bevölkerung stehen sie ganz gut, nur den 
Karaiten wird nachgesagt, dass sie manchmal Raufereien 
mit den Arabern ihres Viertels haben, doch sollen die 
Karaiten, unter denen dem Trünke stark gehuldigt wird, 
der angreifende Teil sein. In neuester Zeit werden 
die Juden auch zum Heeresdienst herangezogen, es 
steht ihnen aber wie den anderen Nationalitäten der Los- 
kauf frei, wobei dann 400 Mark pro Kopf zu entrichten 
sind. Nicht minder finden sich unter den Polizisten 
eine ganze Anzahl Juden. 



— 32 — 

Ein sehr wunder Punkt in den Verhältnissen der 
ägyptischen Juden ist das Schulwesen. Die Sephardim 
haben wohl einige Schulen, welche aber nicht entfernt 
ausreichen, die Aschkenasim besitzen überhaupt keine 
und so wächst der grössere Teil der jüdischen Jugend 
ohne jede Schulbildung auf. Ganz besonders macht 
sich der Umstand geltend, dass auch nicht eine höhere 
jüdische Schule existiert und deshalb alle Familien, 
welche ihren Kindern eine bessere Schulbildung ver- 
schaffen wollen, genötigt sind, dieselben in die Schulen 
der französischen Mönche, welche Gymnasialrang haben, 
oder in das Institut der französischen Nonnen in 
Ramleh bei Alexandrien zu schicken, wo natürlich ihre 
Erziehung eine durchaus christliche ist. So wächst 
auch hier eine Generation heran, die dem Judentum 
entfremdet und dem religiösen Indifferentismus oder 
der Taufe überliefert wird. Der westeuropäische Jude, 
in dessen Schulwesen die Religion ja leider sehr zurück- 
tritt, kann sich nur schwer vorstellen, welche Bedeutung, 
ja welche allein entscheidende Wichtigkeit sie im 
Unterrichtswesen des Orients hat. Eine europäisch 
geleitete Volksschule für Knaben und eine für Mädchen, 
dann später ein Lyceum und eine höhere Töchterschule 
könnten unberechenbaren Segen stiften. Die Alliance 
israelite universelle würde, wenn sie dieses Werk allein 
oder auch gemeinsam mit der Anglo Jewish Association 



— 33 — 

find der Brei Brith-Logen unternähme, für die aufge- 
wendeten Mittel auch materiellen Ersatz finden, denn 
bei einiger Propaganda Hessen sich in Kairo viele Mit- 
glieder gewinnen, deren Beiträge zusammen mit den 
Schulgeldern der wohlhabenden Eltern die Kosten der 
XJnterrichtsanstalten wohl decken würden. 

Wir hatten natürlich von den zwei Tagen, die wir 
-überhaupt in Kairo zubringen durften, die meiste Zeit 
dazu verwendet, die Verhältnisse unserer Glaubens- 
genossen kennen zu lernen, so blieb uns denn für die 
^eigentlichen Sehenswürdigkeiten wenig Zeit. Selbst- 
verständlich war, dass wir die Pyramiden sehen mussten 
und wir führten dies am zweiten Tage ohne Schwierig- 
keit unter der bewährten Leitung des Herrn Bemard 
aus. So kolossal die Masse der Pyramiden auch ist, 
so hat der Beschauer nicht den imponierenden Eindruck, 
den man erwarten dürfte, weil die eigentümliche Form 
demselben hinderlich ist. Ungemein imponiert hat uns 
dagegen die riesenhafte Sphinx, von der nur Kopf, 
Brust und 2 Tatzen vom Sand freigelegt sind. Auch 
die leeren Gräber, die in der Näho der Pyramiden 
liegen, sind sehr merkwürdig und regen zu allerlei Ge- 
danken über verschollene Grössen an. Sehr unangenehm 
wird man aber aus allen solchen Träumereien immer 
wieder durch die aufdringliche Bettelei der Beduinen 

geweckt, die hier das Schutzrecht über die Fremden 

3 



— 34 — 

und das FUhrerrecht ausüben, um einen Begriff von 
der Zähigkeit dieser Backschischbettler zu geben, sei 
erwähnt, dass ein Junge mit einer Kanne Wasser un& 
nachlief von Anfang bis Ende unseres Ausflugs d. h. 
2 Stunden lang und dass, als wir bei den Pyramiden 
ankamen, unserer kleinen, nur aus 3 Personen be- 
stehenden Gesellschaft eine ganze Karawane folgte mit 
Kamelen, Eseln , Antiquitätenhändlern, fliegenden Caf etiers^ 
etc., alles Backschischbettler, die ihre Reittiere, Selten-^ 
heiten etc. anboten. Qanz modern berührte es uns,, 
als der Scheich der Beduinen, uns höflichst um ein 
Zeugnis bat, dass uns seine Leute gut geführt hättetk 
und uns ein Fremdenbuch zum Einschreiben vorlegte. 
So weit ist die Civilisation also schon am Fusse der 
Pyramiden gediehen. 

Alle unsere freie Zeit brachten wir im Bazar zu,, 
der in der That auch das interessanteste war. In un- 
übersehbarem Gewirr ziehen sich die Gassen und 
Gässchen hin, die breiten so weit, dass zwei Reiter 
sich ausweichen können, die schmälsten so eng, dass- 
kaum zwei Fussgänger neben einander Platz finden.. 
Auf beiden Seiten reiht sich ein Laden an den anderen^ 
alle nach Gewerben geordnet, so dass jedem Handels- 
oder Handwerkszweig mindestens eine Gasse gewidmet 
ist. Die Läden sind so eng, dass oft ein grosses Spind 
nicht hineingehen würde und selten mehr als gerade-. 



— 35 — 

mannshoch. Hier sind die verschiedensten Schätze aus 
allen Weltteilen aufgespeichert, oft sehr kostbare Sachen, 
wie Geschmeide, grossartige Teppiche, Shawls etc. Hier 
sitzt der Handwerker und fertigt vor den Augen des 
Publikums seine Waare und oft nimmt die ganze Fa- 
milie an dieser Arbeit Teil. Sehenswert ist auch die 
Bazarstrasse der Banquiers, wo ein Banquier neben dem 
andern sein Geschäft hat, dessen ganze Einrichtung 
aus dem eisernen Geldspind, dem kleinen Divan, auf 
dem der Inhaber sitzt und einer Tischplatte für den 
Verkehr mit dem Publikum besteht. Trotz dieser 
primitiven Einrichtungen werden viele Millionen hier 
umgesetzt. Zu alledem denke man sich die Buntheit 
des Orients, das dichte Gewühl der Schaulustigen und 
Käufer in den engen Strassen und die lebhaften Dis- 
kussionen der Käufer und Verkäufer und man wird 
verstehen, dass der Bazar dem Europäer ein sehr reiz- 
volles Bild gewährt. 

So schön Kairo ist, uns zog es nach dem heiligen 
Lande und wir freuten uns, als uns das Dampfross 
nach zwei Tagen durch die Wüste nach dem Hafen 
Port Said führte. Zum ersten Male sahen wir die 
nackte Wüste, weit und breit nur Sand, selten einen 
Grashalm und dennoch hat selbst in dieser Einöde die 
Kunst des Europäers verbunden mit der befruchtenden 

Macht des Goldes und der Arbeitskraft der Einge- 

8* 



— 36 — 

borenen Oasen geschaffen, lieblich anzuschauen, wie ein 
Garten. So erschien uns Ismailia am Suezkanal, wo 
die Bahn sich m zwei Arme teilt, deren südlicher nach 
Suez, deren nördlicher nach Port Said führt. Mit der 
Reisegesellschaft hatten wir es sehr gut getroffen, ein 
deutscher Franziskanermönch, Pfarrer in Suez, welcher 
uns bis Ismailia begleitete, erwies sich als ein sehr 
netter Gefährte. Er war deutscher Husarenoffizier 
gewesen, hatte 1870 mitgemacht und war dann in ein 
Kloster gegangen, von wo man ihn nach dem Orient 
geschickt hatte. Hier hatte er mancherlei Sprachen 
gelernt, französisch, englisch, holländisch, spanisch, 
italienisch, portugiesisch, arabisch und türkisch und 
beinahe seine deutsche Muttersprache vergessen. Er 
freute sich nicht wenig wieder einmal deutsch sprechen 
zu können und amüsierte uns mit seinem derben, aber 
richtigen Urteile über die deutschen Verhältnisse. So 
tolerant er im allgemeinen war, so grimmig wurde er, 
als die Rede auf Stöcker kam, dem er von Herzen eine 
gehörige Tracht Prügel wünschte, ob er sie von Juden 
oder Katholiken erhielte, war dem guten Pater gleich, 
verdient hätte jener sie um beide, meinte er. In Is- 
mailia erhielten wir noch einen jungen Kopten (einge- 
borenen Christen) zum Gefährten, der uns durch seine 
vielseitigen, besonders geographischen Kenntnisse über- 
raschte. Er hatte, wie sich im Gespräch ergab, das 



— 37 — 

Gymnasium der amerikanischen Mission in Beirut be- 
sucht und flösste uns Respekt ein vor den Leistungen, 
die unter den schwierigen Verhältnissen des Orients 
die Lehrer dieser Schule zu erreichen wissen. 

Port Said selbst ist eine Hotelstadt, so recht 
eigentlich nur für den freilich riesenhaften Durchgangs- 
verkehr durch den Suezkanal entstanden, und bietet 
nichts sehenswertes. Wo nicht gerade Häuser sind, 
beginnt tiberall die öde Wüste. Am Sonntag waren 
wir nach Kairo gekommen, Dienstag verliessen wir 
diese Stadt und gingen am Mittwoch Abend in Port 
Said wieder an Bord der „Thalia", die uns nun in 
wenigen Stunden in Jaffa landen sollte. 

m. 

Die Nacht verging ruhig und als wir am Morgen 
erwachten und auf Deck kamen, da lag es vor uns^ 
das Land unserer Sehnsucht, das, so lange ich denken 
kann, immer den Gegenstand meines Sinnens abgegeben 
hat, immer der Mittelpunkt meiner Träume gewesen 
ist. Als Knabe und Jüngling hojffte ich noch, bald in 
das heilige Land meiner Väter ziehen zu können um 
dort zu bleiben und an der Wiedergewinnung unseres 
Erbes mitarbeiten zu dürfen. Es ist mir nicht so gut 
geworden, als Mann musste ich mich bescheiden lernen 
und froh sein, wenn auch nur als Reisender die Stätten 



— 38 — 



zu erblicken, wo Israel einst ein grosses Volk im eigenen 
Lande sass und den Boden so bebaute, dass „Milch 
und Honig" floss. Wo vor 1800 Jahren die Geschichte 
unseres Volkes jäh abriss, dort knüpfen heute wir wieder 
an, denen das Golus eine unerträgliche Last geworden 
ist, und in dem menschenleeren Palästina regen wieder 
jadische Hände Pflugschar und Sense und Winzermesser, 
um dem alten Boden aufs neue seinen Segen abzu- 
ringen. Mir aber ist es vergönnt gewesen, das mit 
eigenen Augen zu schauen, was im fernen Europa wie 
ein Wunder klingt, und wenn ich den Traum meiner 
Jugend nicht erfüllen und nicht selbst mitarbeiten kann 
auf dem Boden der Väter, dafür, dass ich unsere 
jüdischen Arbeiter, unsere jüdischen Dörfer sehen durfte, 
danke ich Gott alltäglich. 

Unmögliches würde ich unternehmen, wollte ich 
die Gefühle wiedergeben, die uns Angesichts des Landes 
der Ahnen ergrijffen. Im Geiste sahen wir die ganze 
Geschichte unseres Volkes an uns vorüberziehen und 
prophetische Bilder der Zukunft stiegen vor unserem 
geistigen Auge auf .... 

Jaffa repräsentiert sich vom Meere aus ausge- 
zeichnet, auf einem steilen Felsen von 36 Meter Höhe 
erhebt sich die Stadt vom Meere aus und ihr buntes 
Häusergewimmel bietet ein malerisches Bild. Vor der 
Stadt zieht sich im Meere jene Klippenreihe entlang. 




— 39 - 

welche dem Hafen einen so Übeln Namen gemacht hat 
und an der sich die Wogen tosend brechen, während 
rechts und links der eigentlichen Stadt sich an dem 
niedrigen Meeresufer neue Vorstädte ausdehnen. An- 
genehm enttäuscht wurden wir von der Leichtigkeit 
•der Landung, hatten wir doch tiberall gehört und ge- 
lesen, dass dieselbe geradezu lebensgefährlich sein sollte. 
Als unser Dampfer anlegte, kam zunächst ein Beamter 
der Hafenpolizei und der Quarantänearzt auf das Schiff, 
während etwa 20 kleine und kleinste Barken den 
Dampfer umschwärmten, der, bis die Ladung freigegeben, 
•eine gelbe Flagge tragen musste. Aber kaum waren 
die Formalitäten beendet und die gelbe Flagge ein- 
gezogen, so stürzten sich schreiend und nach dem Ge- 
päck greifend, die Ruderer aus den kleinen Booten auf 
das Schiff. Mitten in dem Hailoh hörten wir unsern 
Namen rufen und als wir dem Rufer uns vorstellten, 
•ergab es sich, dass der kleine freundliche Herr, der 
uns gesucht hatte, Herr Kaminitz war, der Inhaber 
des jüdischen Hotels in Jaffa, den unsere dortigen 
Freunde beauftragt hatten, uns abzuholen. Er hatte 
«in ziemlich grosses Boot mit 8 Ruderern mitgebracht, 
in das mit Blitzesschnelle unser Gepäck befördert 
wurde. Wir nahmen Abschied von unseren Reisege- 
fährten und stiegen die Schifktreppe herunter ganz 
bequem in das Boot, um dann mit grosser Geschwindig- 



— 40 — 

keit und so glatt, als führen wir auf der Spree, ao 
das Land gerudert zu werden. Nur die Durchfahrt durch 
die Klippen sah einen Augenblick bedenklich aus, aber ein 
gewandter Steuermann weiss auch hier jegUche Gefahr 
zu vermeiden. Ebenso glatt wie die Landung verlief 
die Pass- und Zollrevision. Wir gaben unsere Pässe 
mit der Bemerkung, dass wir Deutsche seien, ab, und 
iiberliessen alles weitere Herrn Kaminitz, mit dem 
Resultat, dass ehe wir selbst im Hotel waren, schon 
unsere Pässe vom deutschen Vizekonsul angekommen 
waren, während die Koffer etc. gleich nach uns ein- 
trafen. Sie waren gar nicht geöffnet worden, dagegen 
fanden wir seinerzeit auf der Hotelrechnung einen 
massigen Betrag für Backschisch. 

Am Quai erwarteten uns zwei Herren, die wil- 
dem Namen nach kannten, Herr Eisenstadt, der bekannte 
hebräische Schriftsteller, der als Mitglied des Waad 
Hapoel sich sehr verdient um die Kolonisation gemacht 
hat und Herr Margulies-Kalvarisky, der, Agronom vom 
Fach, zu Studienzwecken im Lande ist. Dieser Waad 
Hap^fel ist ein Comitö aus drei Personen, welches die 
Geschäfte des grossen Odessaer Vereins zur Förderung 
der jüdischen Kolonisation in Palästina selbst führt, 
und ihm kommt ein gut Teil Dank für die Erfolge zu, 
die bisher errungen worden sind. Beide Herren be* 
grüssten uns sehr warm und so herzlich, dass wir uns 



— 41 — 

sofort in Jaffa heimisch fühlten. Wir können über- 
haupt die Gastfreundschaft im heiligen Lande nicht 
genug loben, es ist in der That hier noch eine alte 
Vätersitte, vom Herzen kommend und zum Herzen 
gehend, wie sie einst der erste Patriarch Abraham 
ausgeübt hat. 

Jaffa ist am Hafen und in den daran anstossenden 
Strassen noch ganz orientalisch, eng, schmutzig, die 
Bazare nach dem überall gleichen Muster, nur sehr 
klein. Dagegen ist der Marktplatz verhältnismässig 
gross und wir konnten hier bereits die mannigfachen 
und dem Europäer fremdartigen Früchte be wundem, 
die das Land hervorbringt. Sobald man aber den 
Marktplatz durchschritten hat und sich in die Strasse 
nach Nabulus wendet, wo das Judenviertel liegt, ändert 
sich das Bild vollkommen. Zwei- und mehrstöckige 
Häuser, mit den Fenstern zur Strasse, schönes Pflaster 
auf dem Fahrdamm, wie auf dem Fussgängerweg, die 
Läden europäisch eingerichtet, klein aber ziemlich sauber 
gehalten, die Bewohner dieses Viertels fast ganz euro- 
päisch gekleidet, die Strasse sogar gefegt und gesprengt 
und Laternen zur Strassenbeleuchtung vorhanden, 
wir mussten zugestehen, dass dies unsere Erwartungen 
weit übertraf und man, von den fremdartigen Menschen 
abgesehen, wohl in einer Strasse einer europäischen 
Mittelstadt von 10 — 15000 Einwohnern zu sein glauben 



— 42 — 

konnte. Diesem Viertel entsprach auch das Hotel 
Kaminitz, das am Ende dieser Strasse liegt. Hohe 
Zimmer, bescheiden aber ausreichend eingerichtet, gute 
Betten mit den landesüblichen Gaze- Vorhängen gegen 
Moskitos und anderes Ungeziefer, aufmerksame Be- 
dienung, europäische Küche, welche nur in den Ge- 
müsen und Früchten der Landessitte Eechnung trägt, 
dabei massige Preise, kurz man konnte zufrieden sein. 
Wir zahlten z. B. für volle Pension, und es gab ausser 
dem Frühstück noch zweimal des Tages 5—6 Gänge, 
im ganzen 6 Francs pro Tag. 

Wir waren gerade zu dem Schluss des Laubhütten- 
festes angelangt, am Morgen vor Simchat Torah und 
nachdem wir uns einigermassen restauriert, eilten wir 
zur Synagoge. Dieser wie die beiden folgenden Tage 
vergingen uns sehr schnell mit Besuchen, die wir bei 
einigen jüdischen Familien machten und mit der Be- 
sichtigung der Stadt. 

Jaffa zerfällt wie alle orientalischen Städte in 
eine Menge Quartiere, in denen muhamedanische, 
jüdische, griechische, katholische, aimenische Einwohner 
getrennt von einander wohnen. Doch ist die Scheidung 
nicht mehr so scharf wie früher, der lebhafte Verkehr 
der aufblühenden Hafenstadt hat diese Schranken all- 
mählich durchbrochen. Dieser Verkehr ist besonders 
stark in Südfrüchten, von denen hier in grossen Baum- 



— 43 — 



gärten besonders Orangen und Citronen gezogen werden. 
Die Gärten verleihen der ganzen Stadt ein freundliches 
Aussehen, und ihre Gerüche tragen nicht wenig zur 
Verbesserung der Luft in derselben bei. 

Um ein Bild des Handels zu geben füge ich die 
Tabelle über Ein- und Ausfuhr bei, die alljährlich der 
englische Konsul veröffentlicht. Beide Rubriken sind 
im fortgesetzten Steigen und haben sich seit einem 
Jahrzehnt verdreifacht. 



Einfuhr: 

BaumwoUwaaren . 1481250 fr. 
Kaffee . . 
Reis . . 



358750 
280000 
893750 
436250 
112600 
385000 



Zucker . , 
Petroleum 
Eisenwaaren 
PI) antasiewaaren 

Kleider u. Stoffe feine 337250 

„ ordinäre . 167750 

Wein u. Spirituosen 72500 

Kohle 108125 

Bauholz .... 406250 

Ziegel 124500 

Salz 89375 

Mehl 362750 

Eisen 121250 

Andere Artikel . . 670000 



Summa 6402250 



Weizen 
Mais 
Olivenöl 
Sesam . 
Seife . 
WoUe . 
Orangen 
Koloquinth 
Häute . 
Bohnen 
Lupinen 
Gerste . 
Knochen 
Wein . 
Andere Artikel 



Ausfuhr: 

. 48000 fr 
. 354450 „ 
. 151250 
. 1495000 
. 2827850 
. 133000 



en 



n 



1815000 

62500 

356850 

420750 

104350 

15875 

50500 

100800 

1400000 



9336175 



— 44: — 

An historischen Sehenswürdigkeiten bietet die Stadt 
nicht viel, die Klöster und christlichen Legendenstätten 
interessieren uns nicht, um so mehr aber die in der 
Nachbarschaft sich entwickelnden landwirtschaftlichen 
Unternehmungen. Dicht bei Jaffa liegt die kleine 
deutsche Kolonie der Templer, jener wtirttembergischen 
Bauern, die im Jahre 1860 nach Palästina auswanderten, 
um dort die wahrhaft christliche Gemeinschaft vorzu- 
stellen. Eine halbe Stunde weiter liegt die Kolonie 
Sarona, ebenfalls von denselben Templern ins Leben 
gerufen und während die erstere Ansiedelung längst 
die ursprüngliche Beschäftigung mit dem Ackerbau 
aufgegeben hat und ihre Mitglieder Handel und Gewerbe 
betreiben, sind die Bauern in Parona noch vollständig 
Bauern geblieben. Sie stehen sich sehr gut dabei, alle 
sind wohlhabend geworden, aber der Nachwuchs fehlt, 
da eigentümlicherweise die zweite Generation der 
Deutschen das KJima nicht verträgt, während die Juden 
sehr gut dabei gedeihen. Diese Templer haben einen 
guten Teil des Grosshandels in Jaffa, Haifa und Jeru- 
salem in der Hand und sie haben mit grosser Gewandt- 
heit verstanden aus Bauern Kaufleute zu werden. 
Gegenwärtig sind sie die Grosshändler, während die 
Juden Bauern, Handwerker, allenfalls Kleinhändler 
sind, ein Verhältnis, das für den deutschen Juden 
besonders interessant ist, der in seinem Geburtslande 



— 45 — 

genau das umgekehrte Verhältnis vor Augen hat. 
Jaffa war vor zwei Jahrzehnten ein ganz kleiner 
Ort, in welchem Juden fast gamicht ansässig waren. 
Mit dem wiedererwachenden Interesse flir das heilige 
Land mehrten sich auch die Pilgerfahrten nach Jeru- 
salem und Jaffa, das Thor Palästinas gewann von 
neuem Bedeutung. Rasch bildete sich eine namhafte 
jüdische Gemeinde, deren lebhaftes Portschreiten nur 
im Jahre 1891 unterbrochen wurde. In diesem Jahre 
des Unheils nämlich staute sich hier in Jaffa der Ein- 
wanderungsstrom der russischen Juden, welche aus ihrer 
„Heimat" ausgewiesen waren, bis die Choleragefahr die 
türkische Regierung zu einem Einwanderungsverbot 
zwang, welches de jure, aber nicht de facto, noch heute 
besteht. Jetzt sind die Verhältnisse innerhalb der 
jüdischen Gemeinde, die 300—400 Familien mit 2000 
bis 2500 Seelen zählt, stabil geworden. Unsere 
Glaubensgenossen leben in sehr bescheidenen Ver- 
hältnissen, die Mehrzahl sind arme Handwerker, 
Schneider, Schuster, Tischler, der Rest kleine Krämer, 
nur sehr wenige sind wohlhabend, Niemand ist reich 
zu nennen. Dagegen ist die Intelligenz verhältnismässig 
stark vertreten: Aerzte, Apotheker, vor allem die Lehrer 
der verschiedenen AUianceschulen sowie die Beamten 
und Lehrer der jüdischen Kolonien, von denen eine 
ganze Anzahl im Kranze um Jaffa wie um ihr natürliches 



— 46 — 

Centrum liegen. Die JaflFaer Gemeinde hat eine Speziali- 
tät: miter einem aschkenasischen Eabbiner leben Aschke- 
nasim und Sephardim, deutsche, russische, polnische und 
spagnolische Juden einträchtig miteinander, wie dies sonst 
nur in sehr wenigen Gemeinden, in Palästina in keiner 
zweiten der Fall ist. Nach dieser Richtung könnte 
und sollte das in Jaffa gegebene Beispiel zum Muster 
dienen, der Segen solcher Friedfertigkeit tritt hier in 
sehr wohlthuender Weise gegenüber den Zänkereien in 
den anderen palästinensischen Gemeinden in die Er- 
scheinung. Es bestehen auch ausser der offiziellen 
Gemeinde eine Anzahl von Vereinen, welche die den ver- 
schiedensten Ländern entstammenden Juden mit ein- 
ander zu verschmelzen bestrebt sind. So existiert eine 
Bnei Brithloge, ein Geselligkeitsverein etc., die gleich- 
zeitig auch bemüht sind die unvermeidlich sich geltend 
machenden Unterschiede der sozialen Stellung, Bildung 
etc. so wenig als möglich fühlbar werden zu lassen. 

Eine sehr wesentliche Förderung erhielten alle 
diese Bestrebungen durch die Schulen in Jaffa. Unter 
dem Namen Beth Sefer bestehen dort eine Knaben- 
und eine Mädchenschule, die bei weitem das beste sind, 
was im Schulfache in Palästina geleistet wird. Ihre 
Eigentümlichkeit besteht aber in der starken Betonung 
des hebräischen Unterrichts. Derselbe wird so gehand- 
habt, dass die Kinder in den unteren Klassen voll- 



— 47 — 

kommen die hebräische Sprache erlernen, so dass sie 
dieselbe als ihre Muttersprache sprechen, mid in den 
höheren Klassen wird dann der Unterricht mit Aus- 
nahme des französischen in hebräischer Sprache er- 
teilt. Es ist sehr interessant, die Kinder dieser Schule 
sich auf der Strasse hebräisch unterhalten zu hören, 
und es weckt ganz eigentümliche Gefühle und Gedanken, 
wenn man auf dem Boden, der einst dem Volke Israel 
gehörte, die Laute der heiligen Sprache von Kindern 
von 8—10 Jahren vernimmt, nicht im Gebet, sondern 
im Spiele, oft auch im Streite und immer in der all- 
täglichen Unterhaltung von ihnen benutzt. Die Schulen 
sind aber auch in Bezug auf ihre Leistungen in anderen 
Fächern den üblichen Allianceschulen weit überlegen, 
und es besteht die Absicht des Comit6s, das diesen 
Schulen vorsteht, aus denselben höhere Schulen, aus 
dem Knabeninstitut ein Lyceum, aus dem Mädchen- 
institut eine höhere Töchterschule zu machen. Die 
Allianz hat keineswegs die Leitung von Beth Sefer, 
dieselbe untersteht vielmehr einem lokalen Schulkomitö, 
was um so gerechtfertigter ist, als der weitaus grösste 
Teil der Mittel von der Chawawe Zion in ßussland 
aufgebracht werden. Von einem Budget von ca. 
25000 Fr. giebt die AUianze israelite universelle nur 
6500 Fr., wofür sie das Recht hat, Direktor und 
Direktrice der beiden Schulen zu wählen. Eine Organi- 



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— 49 — 

Schulen vorhanden wären, manchem europäischen Juden 
die Einwanderung erleichtert würde, der heut glaubt 
seinen Klndem im Orient nicht die nötige Schul- 
bildung angedeihen lassen zu können. Immer wieder 
muss betont werden, im Orient dreht sich in der Schule 
alles um die Eeligion, das Judentum wird so lange 
nicht für voll gelten, bis es sich dazu aufraffen kann, 
-dort eigene höhere Lehranstalten zu unterhalten, wie 
dies die Mohamedaner, so gut wie alle christlichen 
Sekten thun. Das Werk der AUiance ist sehr gut, 
sehr nützlich, aber nach dieser Richtung hin weist es 
•eine schwere Lücke auf. Hoffentlich geben die Chawawe 
Zion aller Länder dem Schulkomitö die nötigen Mittel, 
um seine in der geschilderten Richtung sich bewegenden 
Pläne auszuführen. 

Auf Wunsch unserer neuen Freunde besuchten wir 
auch das Hospital Schaare Zion in Jaffa, das die 
jüdische Gemeinde mit Hilfe milder Gaben von aus- 
wärts unterhält. Herr Dr. Stein, der Arzt dieses 
Krankenhauses, ein russischer Jude, der in Leipzig 
studiert und dort seinerzeit auch das Staatsexamen 
gemacht hat, war in liebenswürdigster Weise der 
Cicerone. Wir fanden ein hübsches, lichtes, zweistöckiges 
Haus am Meeresufer, dessen Zimmer 18 Betten ent- 
hielten, alles mit der grössten Sauberkeit eingerichtet, 
-einfach aber von musterhafter Ordnung. Die 18 Betten 



— 50 — 

genügen dem gegenwärtigen Bedürfnis der Jaffaer Ge- 
meinde und einiger der nächstgelegenen Kolonien, dier 
dasselbe in Anspruch nehmen, während freilich im Fall 
einer Epidemie die Einrichtungen viel zu klein sei» 
würden. Glücklicherweise kommen solche Epidemien 
in dem im allgemeinen gesunden Jaffa nur selten vor. 

IV. 

Nachdem wir uns mit den Verhältnissen in Jaffa 
einigermassen vertraut gemacht und mit unseren dortigem 
Freunden in längeren Sitzungen über die verschiedensten 
Pläne für die weitere Entwickelung der Kolonisation^ 
der Beth Seferschulen und so weiter unsere Meinungea 
ausgetauscht hatten, begannen wir unsere Ausflüge in 
die Kolonien. 

Schon am zweiten Tage unserer Anwesenheit 
führten uns unsere Freunde Eisenstadt und Kalvarisky^ 
nach Mikweh Israel, der berühmten Ackerbauschule^ 
welche die AUiance dicht bei Jaffa besitzt. Man geht 
auf der Chaussee nach Jerusalem, die leider, kaum 
dass die Bahn eröffnet ist, schon vernachlässigt wird^ 
etwa eine viertel Stunde erst an den grossen Baum-^ 
gärten entlang, aber bald tritt man in die Ebene Saron^ 
die sich uns um diese Zeit, es war am 11. Oktober^ 
als eine grosse Sandwüste repräsentierte. Eine halbe 
Stunde von Jaffa entfernt sieht man rechts die grosseix 



— 51 — 

Gebäude der Schule Kegen, die man in wenigen Minuten 
erreicht. Mikweh Israel besteht schon seit 1870, aber 
trotz aller darauf gewandten Mühe wollte die Schule 
Anfangs nicht vorwärts kommen, auch konnte man für 
die hier ausgebildeten Schüler keine Arbeit finden. Als 
aber die Ackerbaukolonisation sich entwickelte, da 
stieg auch die Bedeutung der Ackerbauschule und seit 
der jetzige Direktor Herr Niego die Schule leitet, hat 
sie einen sehr bedeutenden Erfolg gehabt. Ihre Schüler- 
zahl ist ständig gewachsen und erreicht jetzt schon 
beinahe 100.*) Als wir die Anstalt besuchten, waren 
gerade Ferien und die grosse Mehrzahl der Schüler bei 
ihren Eltern, wir konnten daher von dem Unterricht 
nichts sehen und mussten uns darauf beschränken, die 
Gebäude und Anlagen unter der kundigen Führung des 
Direktors Niego zu besichtigen. Dies war aber hoch- 
interessant, und ich rate jedem Eeisenden, der Jaflfa 
besucht, auch wenn er nicht Jude ist, sich diese An- 
stalt anzusehen, die mit Recht der Stolz der Alliance 
ist. Sie stellt ein ganzes Gut vor, denn sie besitzt ein 
Terrain von 2600 Dunam gleich ca. 240 Hektar mit 
allen dazu nötigen Wirtschaftsgebäuden, den Häusern 



*) Dies war 1895 geschrieben. Jetzt verlautet, dass neue 
grosse Erweiterungsbauten ausgeführt werden sollen, damit für 
weitere 100 Schüler Platz geschafTen werde. 

Berlin, den 25. 6. 97. 

4» 



— 52 — 

für die Schule und den Wohnungen der Lehrer und 
der Zöglinge. Die Einrichtung und das Ziel der An- 
stalt entspricht un^^efähr dem einer mittleren Acker- 
bauschule in Europa, nur dass Mikweh Israel als die 
einzige derartige Anstalt im ganzen Lande ungleich 
vielseitiger sein muss, als die ähnlichen Institute in 
Europa, welche sich den Luxus gestatten können, nur 
eine Seite der Landwirtschaft besonders zu kultivieren. 
In dieser Vielseitigkeit liegt eine besondere Schwierig- 
keit und eine zweite liegt in der für alle Schulen 
Palästinas geltenden Thatsache, dass die Schüler aus 
allen möglichen Ländern stammen und nicht einmal 
die Sprache gemeinsam haben. Da wird denn eine 
stramme Disziplin in der Anstalt doppelt notwendig, 
aber auch doppelt schwierig und das Verdienst des 
Herrn Niego, alle diese Hemmnisse überwunden und 
der Schule doch eine glänzende Blüte errungen zu 
haben, ist doppelt hoch anzuschlagen. 

Die Schüler erhalten die eine Hälfte des Tages 
theoretischen Unterricht, während sie in der anderen 
praktisch arbeiten müssen. Der erstere Teil umfasst: 
Botanik, Zoologie, Physiologie, Tierarzneikunde, Physik, 
Chemie, Arithmetik, Buchführung, sowie die Theorien 
des Getreidebaues, der Gemüse- und Obstzucht, der 
Seidenkultur, des Weinbaues und der Weinbereitung, 
endlich der Baumkultur und Blumengärtnerei. Herr 



— 53 — 

Niego führte uns durch die hellen, luftigen Schulzimmer 
und zeigte uns die vorzüglichen Lehrmittel und Bilder 
und die reichhaltige Bibliothek, wodurch dieser Unter- 
richt wesentlich erleichtert wird. Dabei hatten wir 
Gelegenheit, die Umsicht zu bewundem, mit der die- 
jenigen Pflanzen- und Tierbilder ausgewählt waren, 
welche für den gegenwärtigen Stand der Bodenkultur 
im Orient die wichtigsten sind. Diese Umsicht ist ein 
Beweis dafür, wie trefflich die Leitung der Schule es 
versteht sich den lokalen Bedürfnissen anzupassen. 

Praktisch betrieben wird in der Anstalt zunächst 
auf ausgedehntem Terrain der Getreide- und besonders 
der Weinbau, aber auch die verschiedenen Anpflanzungen 
von Fruchtbäumen, durch die man uns führte, nahmen 
respektable Dimensionen ein. Wir sahen eine grosse 
Anzahl der verschiedensten Fruchtgattungen, zunächst 
natürlich die in dieser Gegend so besonders gepflegten 
Orangen- (Jaffa- Apfelsinen) Pflanzungen, dann Citronen, 
Granaten, Datteln, Mandeln, Feigen, Evasfeigen, Ba- 
nanen, Aepfel, Aprikosen, Pfirsiche, Nüsse, Berberiden, 
Cakteen etc. Natürlich fehlten Oelbäume und die für 
die Seidenzucht nötigen Maulbeerbäume nicht, auch 
eine Bambusallee ist vorhanden, sowie eine Eucalyptus- 
schonung und eine Baumschule, in der mit den ver- 
schiedenartigsten Bäumen Versuche gemacht werden. 
Von Getreidearten werden Weizen, Gerste, Mais, dann 



— 54 — 

Erbsen und Bohnen kultiviert, sehr gute Resultate er- 
zielte man mit Wassermelonen. Die Viehzucht, welche 
bisher in massigem Umfange betrieben wurde, hat im 
Jahre 1894 durch ein grosses Rindersterben, (vielleicht 
die Rinderpest) sehr gelitten. Dabei hat sich gezeigt, 
dass die Damascener Rindviehrasse nicht so wider- 
standsfähig, wenn auch in guter Zeit ergiebiger an 
Milch und Fleisch war, als die einheimische Landrasse, 
üebrigens ist die Entwickelung der Viehzucht sehr 
beschränkt durch den Mangel an Futter, und die Ver- 
suche mit dem Anbau von Futterpflanzen haben bisher 
noch kein befriedigendes Resultat ergeben. 

Mit grossem, aber gerechtem Stolze zeigte uns 
schliesslich Herr Niego den Weinkeller der Anstalt. 
In den Felsen gehauen bedarf er trotz des warmen 
Klimas keinerlei Eismaschinen, wie dies in den anderen 
Kellern der Fall ist, um die richtige Temperatur zu 
erhalten. Die jährliche Weinproduktion in den vier 
Kellereien beläuft sich auf ca. 700 Hektoliter der ver- 
schiedensten Sorten, von einem ganz leichten Landwein 
an, der nicht transportfähig ist, bis zu Rotwein, der mit 
Bordeauxweinen konkunieren kann und süssen Weinen, 
welche es getrost mit spanischen in gleicher Preislage 
aufnehmen. Besonders vorzüglich war der Muskatwein. 

Mikweh beherbergt ausser dem Lehrerpersonal 
100 Schüler der verschiedensten Altersklassen, welche 



— 55 — 

nur zum Teil aus Palästina stammen, zum grössten 
Teil von der Feme zu ihrer Ausbildung hierher ge- 
schickt sind. Da sind junge Leute aus der Türkei und 
Egypten, aus Russland und Rumänien, aus Nordafrika 
^tc. vereinigt, um die Landwirtschaft zu erlernen und 
.im Durchschnitt verlassen jedes Jahr 18—20 fertige 
:Zöglinge die Anstalt. Die Schüler, welche ihre Aus- 
bildung vollendet haben, fanden bisher immer leicht 
«ine Stellung, sei es in den palästinensischen Kolonien, 
sei es als Gärtner etc. ausserhalb des Landes. Neuer- 
dings lässt die Leitung der argentinischen Kolonien 
des Baron Hirsch Schüler aus Mikweh kommen, um 
;sie in Argentinien anzustellen. 

V. 

Der nächste Ausflug führte uns nach der Perle 
der Kolonien in Judaea, nach Rischon Lezion. Wir 
krachen frühmorgens auf, um noch vor der grössten 
Hitze in dem Dorfe sein zu können, um so mehr, als 
wir den etwa dreistündigen Weg zu Fuss machten. 
Sobald man den Gürtel von Orangengärten, der um 
Jaffa liegt, auf der Chaussee nach Jerusalem durch- 
schritten hat, kommt man in eine Sandebene, die sich 
kaum von der Wüste unterscheidet. Flach und nur 
wenig gewellt dehnt sich die Ebene aus und rings sieht 
das Auge nur den gelblich grauen Sand, erst fem am 



— 56 — 

Horizont die bläulichen Berge von Juidaea. So weit 
das Auge blickt, kaum eine Spur von Vegetation, immer 
Sand und wieder Sand. Zunächst führt der Weg an 
ilikweh vorüber, das wie eine blühende Oase in der 
Wüste, rechts von dem Hauptwege liegt. Bald darauf 
kommt man an dem arabischen Dorfe Jasur vorbei, 
einem Haufen Lehmhütten, deren Dächer Gras bedeckt, 
das von Ziegen abgeweidet wird. Jazur sieht einem 
Lehmhügel ähnlicher, denn einer Wohnstätte für 
Menschen. Gleich hinter Jazur führt der Weg abseits 
von der grossen Chaussee und nach einiger Zeit sieht 
man auf einem Hügel in der Feme ein ziemlich grosses 
hellfarbiges Haus leuchten. Es ist die Synagoge von 
Eischon le Zion, auf der höchsten Spitze des hügeligen 
Terrains erbaut, so dass sie weithin sichtbar wird, wie 
man wohl in Europa die Kirchen auf die Spitzen der 
bewohnten Berge baute. Beim weiteren Fortschreiten 
sieht man endlich einen kleinen schattigen Wald vor 
sich und sobald man heran ist, erblickt das Auge hinter 
demselben weithin sich erstreckende Weinberge. Der 
Sandweg, der unseren Marsch so mühsam gemacht hat, 
hört auf, wir treten wieder auf wohl gepflasterten 
Strassen, ein Dorf dehnt sich vor uns aus, rechts auf 
einem kleineren Hügel ein hoher Schornstein, der die 
Fabrikthätigkeit verriet, wir sind in Rischon und wir 
empfinden es sofort, wir sind wieder innerhalb der 



— 57 — 

Civilisation, nachdem wir meilenweit nur Unkultur ge- 
sehen haben. 

Unsere kleine Gesellschaft, ausser uns beiden noch 
3 Herren aus Jaffa, begab sich zunächst zu Dr. Masie, 
dem Arzt von Rischon le Zion, bei dem wir uns 
restaurieren wollten. Zufällig war weder er, noch seine 
Gemahlin zu Haus, aber die Haushälterin liess uns 
nach der freundlichen Sitte des Orients nicht weiter, 
ehe wir nicht ein wenig uns erfrischt hatten. Alsdann 
aber ging es durch die Kolonie, und wir erfreuten uns 
an dem überaus ansprechenden, zum Teil geradezu 
imponierenden Eindruck, den alles machte. Der Gegen- 
satz zwischen der Wüste, die wir durchschritten, und 
dem blühenden Dorfe mit seinen Weinbergen, Frucht- 
baumpflanzungen, Gärten und Feldern ist um so 
packender, als ja alP diese Kultur wie aus der Erde 
gestampft erscheint. Da wo jetzt Häuser und Gärten 
und Felder sind, da war vor 15 Jahren alles Steppe, 
wie noch jetzt rings herum und man staunt, wie eine 
solche Verwandlung möglich war. Das ganze, 1000 
Hektar umfassende Terrain ist durch die fleissige 
Hand jüdischer Bauern, freilich unterstützt von den 
Kapitalien eines grossen Wohlthäters und der Intelli- 
genz eifriger für die jüdische Kolonisation des heiligen 
Limdes begeisterter Männer zu einem blühenden 
Garten geworden. 



— 58 — 

In der Mitte des Dorfes liegt auf einem Hügel, 
von dem man weithin das Land übersieht, und sogar 
über die Dünen hinweg das ein und eine halbe Stunde 
entfernte Meer erblickt, die Synagoge und Schule, die 
wir schon von weither gesehen hatten» Emen zweiten 
Hügel nimmt das neue Gebäude der Administration 
mit der Wohnung ihres obersten Leiters, des Herrn 
Chasan ein. Um diese Hügel gruppirt sich die ganze 
Ansiedelung, welche aus steinernen, meist zweistöckigen, 
sehr sauber und fast zierlich gehaltenen, vielfach mit 
Balkons versehenen Häusern besteht, deren jedes in- 
mitten eines Garten liegt und die notwendigen Stallungen 
etc. besitzt. Die Kolonie verfügt über drei grosse 
Brunnen, die Strassen sind mit Steine gepflastert, und 
Alles ist vorzüglich und sehr reinlich gehalten. 

Die Kolonisten dieses Dorfes zählen 52 Familien, 
aber es leben hier viele Beamte der Administration, 
da hier der Mittelpunkt der jüdischen Kolonien ist und 
die grosse Weinkellerei mit ihren vielen Nebenbetrieben 
ebenfalls viele Beamte erfordert. Dazu kommt noch 
die Zahl der Arbeiter, welche als Tagelöhner teils auf 
dem Lande, teils in den Kellereien beschäftigt sind. 
Man kann die Gesamtzahl der ständigen jüdischen 
Einwohner in Eischon le Zion deshalb auf 450 Seelen 
veranschlagen, doch steigt in den Perioden, wo der 
Boden schnellerer Bearbeitung bedarf, besonders in der 




— 59 — 

Ernte diese Zahl noch erhehlich. Anerkennenswerter 
Weise hat die Administration das Prinzip, nach Mög- 
liclikeit nur arme Juden zu beschäftigen, soweit solche 
Arbeitskräfte im gegebenen Fall vorhanden sind, manch- 
mal müssen freilich Araber aushilfsweise angenommen 
werden. Die Beamten sind bis auf einen christlichen 
Gärtner ausnahmslos Juden. 

Bei unserer Besichtigung des Dorfes kamen wir 
nach dem Hospital, wo wir zu unserer Freude Herrn 
Dr. Masie fanden, der dann unsere weitere Führung 
übernahm. Er zeigte uns das Hospital, eine weitläufige 
aus einer Anzahl Baracken bestehende Anstalt, die in 
6 Häuschen 28 Betten enthielt, alles reichlich adjustiert 
und mit dem Nötigen versehen. Sogar ein Apparat 
für hydrotherapeutische Behandlung fehlte nicht. Sehens- 
wert war auch die grosse Apotheke, die als Centrale 
für alle übrigen in den Kolonien dient. Zwei Krank- 
heiten sind besonders häufig zu bekämpfen, Fieber 
nämlich und ägyptische Augenkrankheit. Gegen das 
erstere haben sich nach Dr. Masie besonders die 
Eucalyptuspflanzungen bewährt, welche zwischen den 
Fiebermiasmen ausströmenden Sümpfen und der Kolonie 
angelegt jene Dünste aufsaugen. Gegen die Augen- 
krankheit hat Dr. Masie ein spezielles Mittel gefunden, 
welches sich sehr gut bewährt und selbt in ganz 
schweren Fällen das Augenlicht den Kranken erhielt. 



— 60 — 

Erfreulicher Weise kommen die in Europa so gefähr- 
lichen Krankh^ten wie Typhus, Diphteritis und Lungen- 
krankheiten in Palästina fast garnicht vor, der Ote- 
sundheitszustand in den jüdischen Kolonien ist daher 
trotz Fieber und Augenkrankheit ein guter. 

Herr Dr. Masie nötigte uns in liebenswürdigster 
Weise zu Tisch und wir folgten seiner freundlichen 
Einladung. Als wir nachher dem Ober-Administrator 
der judäischen Kolonien, Herrn Chasan unseren Besuch 
machten, trafen wir auf eine Anzahl anderer Gäste 
und fanden schliesslich hier eine ganze internationale 
Gesellschaft von Zionsfreunden zusammen, ein Beweis 
wie sehr das Interesse für Palästina alle Splitter des 
jüdischen Volkes wieder beherrscht. Da war ein Herr 
aus New- York, ein Herr aus Warschau mit seiner 
Gemahlin, sowie noch mehrere Herren aus Russland, 
dann ein deutschjüdischer Professor aus der Schweiz. 
Der letztere erzählte uns, mit welchem Vorurteil gegen 
die Juden in Palästina er in dieses Land gekommen 
sei und dass sein Besuch in Jerusalem ihn nur in 
seiner schlechten Meinung bestärkt habe. In den Kolo- 
nien aber sei er zu einer anderen Ansicht gekommen 
und habe gesehen, dass die russischen Juden arbeiten 
wollten und der schwersten Arbeit fähig seien, wenn 
sie nur solche fänden und die nötige Anleitung dazu. 
Femer waren Herren aus Frankreich, Oesterreich, 



I y 



— 61 — 

Eumänien und Tunis, endlich wir beide aus Deutsch- 
land in der Gesellschaft, allesamt jetzt einig in der 
Liebe für Palästina, in dem Wunsche, den jüdischen 
Ackerbau im heiligen Lande zu fördern. 

Wir bildeten jetzt schon eine grosse Schaar, als 
wir die freundlichen Salons des Herrn Chasan ver- 
liessen, um unter seiner und Herrn Brociners Leitimg 
die grossen Kellereien zu besehen. Herr Brocmer, 
derMer chemischen Fabrik in Jessud Hamaaloh vor- 
steht, war zufällig in Rischon, er widmete sich den 
ganzen Nachmittag den Gästen und machte in schätzens^ 
werter Weise den Erklärer. Der grossartige Weinkeller 
ist für alle Fremden der Hauptanziehungspunkt in 
Rischoü und dies darf nicht Wunder nehmen, denn 
selbst in Europa wird eine derartige Anlage eine grosse 
Seltenheit sein. Aus allen jüdischen Kolonien, auch 
denen, die nicht unter der Admüiistration stehen, werden 
die Trauben hierher gebracht, um je nach der Qualität 
mit 20—25 Fr. pro Kantar (ca. 300 Kilo) bezahlt zu 
werden. Für indische Trauben wird dagegen 60 bis 
90 Fr. pro Kantar gezahlt. Noch tragen bei weitem 
nicht alle Rebengärten dieser Kolonien und doch ist 
die Produktion in diesem Jahre (1895) schon auf 
7000 Hektoliter Wein und 500 Hektoliter Cognac ge- 
stiegen. Alle Einrichtungen, welche ein geordneter 
Betrieb nach dem neuesten System erfordert, sind vor- 



— 62 — 

banden, grossartige Anlagen waren insbesondere not- 
wendig, um genflgend küble Bäume zu scbaffen. Da 
bei der riesigen Ausdebnung des Etablissements der 
Betrieb von einer Dampfmascbine aus bier nicbt rationell 
gewesen wäre, so mussten deren 5 aufgestellt werden, 
von denen die eine 80, die zweite 24, die drei anderen 
je 4 Pferdekräfte stark sind. Alle Fässer werden in 
der eigenen Böttcberei bergestellt. wie aucb die Flascben 
aus der eigenen Glasfabrik in Tantura bezogen werden 
sollen. Sämtlicbe Handwerker in diesen Fabriken, in 
der Maschinenwerkstatt etc. sind, ebenso wie die Maurer 
bei den vielen notwendig gewordenen Bauten Juden 
und es erfüllt den jüdischen Beschauer mit freudiger 
Genugthuung, dass jede Manipulation, die hier vorge- 
nommen wird, leichte und schwere, geistige und körper- 
liche Arbeit, nur von Juden verrichtet wird. Die 
Qualitäten der Weine sind sehr verschieden, neben 
leichten und schweren Bordeauxweinen, an Qualität 
Chateau Lafitte ähnlich und aus solchen Trauben her- 
gestellt, wird ein süsser Wein aus den Alicantetrauben 
der Kolonie Rechowoth erzeugt. Aus den leichtesten 
Sorten wird ein vorzüglicher Cognac gebraut, dem nach 
Ansicht der Sachverständigen nur das Alter fehlt, um 
einen sehr hohen Preis zu erzielen. 

Auch in Europa giebt es sicher nur sehr wenige 
Kellereien, die diesen Umfang und eine so vollkommene 



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— 63 — 

Einrichtung haben; nicht weniger als zwölf grosse 
Kellereien sind zui* Aufnahme des Weines vorhanden. 
Freilich muss man wissen, dass in nicht femer Zeit 
ein jährliches Quantum von 30000 Hektoliter Wein, 
abgesehen von Cognac, zu erwarten ist. Das sollte 
für jeden Juden gesteigerter Anlass sein, durch Bezug 
dieses Weines dessen Absatz zu erleichtem und so den 
Brüdern, welche den Boden der Väter bebauen, seine 
Unterstützung angedeihen zu lassen. 

Nachdem unser Eundgang beendigt war, hatten 
wir noch Gelegenheit bei den Herren Brociner und 
Masie einige der Kolonisten kennen zu lemen, um mit 
Freude zu sehen, auf welcher hohen Stufe der Intelligenz 
dieselben stehen. Eine kleine Anzahl von Vereinen, 
sowie eine Bibliothek sorgen für ihre geistige Aus- 
bildung und auch an Geselligkeit mangelt es nicht. 
Es bedarf kaum der Erwähnung, dass Schule etc. vor- 
handen ist. 

Für alle diejenigen Juden, welche Rischon le Zion 
gesehen haben, wird der Anblick der Kellereien, wie 
des ganzen Dorfes ein unvergesslicher bleiben. 

VI. 

Der nächste Tag nach dem Ausfluge in die Kolonie 
Rischon war der Erholung und einigen wichtigen 
Sitzungen gewidmet, in denen Fragen und Pläne, die 



— 64 — 

Kolonisation Palästinas durch russische Juden betreffend, 
von dem Waad Hapoel und einigen Freunden aus dem 
Auslande, darunter auch wir beiden Berliner, besprochen 
wurden. Auch der Vormittag des folgenden Tages 
wurde dieser Thätigkeit gewidmet. 

Am Nachmittag fuhren wir mit Epstein, dem Ad- 
ministrator von Eechowoth und mit Herrn Brande, dem 
Vorsteher der Gesellschaft menucha wenachla, der der 
grösste Teil dieser Kolonie gehört, von Jaffa hinaus, 
um zunächst dieses, dann aber auch die anderen zu- 
nächst gelegenen jüdischen Dörfer zu besichtigen. Auch 
Prau Brande, eine lebhafte, sehr liebenswürdige ältere 
Dame, war mit von der Partie und trug durch ihre 
Unterhaltung viel dazu bei, uns bei angenehmer Stim- 
mung zu erhalten. 

Gegen Abend erreichten wir zuerst Waad el Chanin 
auch Nachlath Reuben genannt. Hier hatte ein russischer 
Jude, Ruhen Lehrer, ein Gut besessen, das er allmählig 
in eine Kolonie verwandelte, während er selbst noch 
eine Bujare, das heisst einen Fruchtbaumgarten mit 
künstlicher Bewässerung, für sich behielt. Die in diesem 
Dorfe angesiedelten 18 Familien besitzen zum Teil 
sehr wenig Terrain, zwischen 30 und 150 Duman pro 
Familie und sind daher genötigt, als Arbeiter in die 
nächstgelegenen Kolonien zu gehen, um durch Tage- 
John zu verdienen, was der allzu kleine Besitz ihnen 



— 65 — 

niclit bieten kann. Es leben ca. 100 Seelen hier, alle 
diese Bauern stammen aus Eussland und sie sind in 
der glücklichen Lage eine direkte Unterstützung ent- 
behren zu können, nur dass die Chawawe Zion einen 
Lehrer besolden, der ca. 20 Kinder zu unterrichten 
hat. Als Schochet funktioniert der in Rechowoth an- 
gestellte Schächter, die etwa Erkrankten behandelt der 
Feldscheer von Qadrah, der zweimal in der Woche 
nach Waad el Chanin kommt. Schwere Fälle müssen 
natürlich der Behandlung des Dr. Stein in Jaffa oder 
des Dr. Masie in Eischon le Zion überwiesen werden. 
Glücklicher Weise sind solche bisher sehr selten ge- 
wesen. 

Der Boden von Waad el Chanin eignet sich, da 
viel Wasser vorhanden ist, besonders für Fruchtbaum- 
plantagen, auch hat man schon 150000 Weinstöcke an- 
gepflanzt und eine besondere Spezialität dieser Kolonie 
ist der vorzügliche Bienenhonig. Die Kolonisten be- 
sitzen bisher nur Holzhäuser, welche sich aber recht 
gut bewährten, doch wird ihre Existenz erst dann 
völlig gesichert sein, wenn sie durch fremde Hilfe oder 
vielleicht allmälig auch aus eigener Kraft in der Lage 
sein werden, die Fruchtbaumplantagen sehr erheblich 
auszudehnen. Der Boden ist, wenn er — wozu das 
Wasser, wie gesagt, in genügender Menge vorhanden 
ist — rationell bewässert wird, so fruchtbar, dass diese 



— 66 — 

achtzehn Familien von dem Ertrage der verhältnis- 
mässig kleinen Terrains, die sie besitzen, vollkommen 
leben könnten. Aber man muss sie eben durch Er- 
richtung der Bewässerungsanlage unterstützen. 

VIl. 

Von Waad el Chanin waren wir in einer halben 
Stunde in Eechowoth, wo wir unser Nachtquartier 
halten sollten. Dieses Dorf bot uns den allererfreu- 
lichsten Anblick und nähere Betrachtung bestätigte den 
günstigen Eindruck vollauf, den wir von ihm gewonnen 
hatten. Ohne jeden Pomp gebaut, fast durchgehends 
einstöckige Häuser, viele darunter noch aus Holz, alle 
mit Ställen versehen, mit sauber gehaltenen Strassen, 
gleicht es einem deutschen Dorfe. Die Ansiedelung 
wurde 1890 von der Warschauer Gesellschaft Menuchah 
Wenachlah gegründet, deren Vorsteher Herr Brande 
ist, und der als Mitglied unter anderem auch der grosse 
Zionsfrennd Oberrabbiner Mohilewer in ßialystock an- 
gehört. Die Gesellschaft besitzt den grössten Teil des 
Areals, das im ganzen 10500 Dunam = ca. 950 Hektar 
umfasst, doch sind auch andere Kolonisten auf dem 
Rest des Terrains angesiedelt, die nicht zu der Kolonie 
gehören. Die Gesellschaft hat einen sehr glücklichen 
Griflf mit ihren Beamten gethan, sowohl mit Herrn 
Levin Epstein, dem ersten Administrator, wie mit den 



- 67 — 

Herren Goldin, seinem Vertreter, und Eisenberg, dem 
Gärtner. Die Kolonisten selbst haben eine Vertretung, 
eine Art Verwaltungsrat eingesetzt, mit dem gemeinsam 
<lie Beamten die Leitung des Dorfes besorgen. Auch 
diese Kolonie basiert in erster Linie auf dem Weinbau, 
dessen Ertrag in Trauben an die Kellereien in Eischon 
le Zion verkauft wird. Es sind im Ganzen angepflanzt 
<?a. 650000 Weinstöcke, die aber noch nicht alle Er- 
trag geben. Ausserdem sind aber auch eine grosse 
Zahl von Obstbäumen der verschiedensten Sorten ge- 
setzt worden, mehr als 30000, darunter allein 4000 
Mandelbäume, und die Zahl dieser Fruchtbäume wächst 
mit jedem Jahre; Getreidebau wird wenig getrieben, 
doch sind immerhin etwas Weizen, Sesam und Gerste 
gesäet worden. Im Ganzen ist von dem grossen Tenain 
noch nicht einmal die Hälfte, nur ca. 4000 Dunam 
urbar gemacht und bepflanzt worden, der ßest muss 
erst allmählig der Kultur gewonnen werden, und das 
ist keine leichte Arbeit, denn vielfach ist der Boden 
sehr steinig und man stösst auf die Ruinen alter Ort- 
«chaften, die oft 15 Meter tief im Boden sich befinden. 
Bei diesen Arbeiten sind schon mancherlei wichtige 
Funde gemacht worden, die einem Museum zur Zierde 
gereichen könnten, man zeigte uns zum Beispiel sehr 
alte Münzen, Versteinerungen, Reste alter Säulen etc. 
tmd bei Fortsetzung der Bodenarbeiten sind noch viele 

5" 



— 68 — 

interessante Funde zu erwarten. Das Dorf gliedert 
sich in zwei parallelen Strassen, doch sollen mit der 
fortschreitenden Bebauung noch zwei Querstrassen an- 
gelegt werden. Die Kolonisten zählen 48 Familien mit 
245 Seelen, wovon 133 Seelen auf die eigentlichen 
Bauern, 112 auf die Arbeiterfamilien kommen. Die 
Mehrzahl besteht aus jungen Leuten mit kleinen Fami- 
lien, die in Eussland den verschiedenartigsten Benifen 
obgelegen haben, darunter sind je ein Schmied, Tischler, 
Maurer, Schuhmacher und Schneider, so dass die 
nötigsten Handwerker auf der Kolonie selbst vertreten 
sind und die Bauern manchen sonst recht unangenehmen 
Weg sparen. In den beiden Strassen Rechow Jaacob, 
nach Herrn Braude so genannt und Rechow Benjamin, 
nach dem Vornamen des bekannten Protektors, stehen 
zur Zeit 27 Häuser, darunter 6 hölzerne, zu denen 
16 Stallungen, manche für 2 Häuser, gehören. Auch 
ein Wärterhaus fehlt nicht, in dem der arabische 
Wächter, der einzige Araber auf der Kolonie, seines 
Amtes waltet. Vor und hinter den Häusern sind 
Gärten angelegt und Alleen aus Maulbeerplantagen 
ziehen sich die Strassen entlang, auf denen eine Menge 
Geflügel sein Wesen treibt. Der Viehstand der Kolonie, 
der durch ein grosses Rmdersterben gerade sehr ge- 
litten hatte, zählt immerhin noch ca. 100 Stück Rind- 
vieh ausser 40 Kälbern, 15 Esel, 8 Pferde sowie einiges 



— 69 — 

Kleinvieh. Auch hier, wie in den. meisten jüdischen 
Dörfern fehlen 'Wiesen, wodurch die Viehhaltung sehr 
beeinträchtigt wird, obwohl Wasser in dieser G^end 
reichlieh vorhanden war, wie die mehrfach gefundenen 
verschütteten Brunnen beweiaen. Der Brunnen des 
Dorfes hat genügend Wasser und speist unt«r 
anderem auch eine vorzüglich eingerichtete Badestube 
mit Douche, eme in diesem Klima doppelt angenehme 
Erfrischmig nach der Feldarbeit. Einen besonderen 
Schmuck wird die Ansiedelung auf dem höchsten PuDkte 
durch die neue Synagoge erhalten, die auf Kosten Herrn 
Braude's errichtet werden soll und weithin sichtbar 
das Wahrzeichen eines jüdischen Dorfes sein wird. 

Besondere Freude machten uns die Kolonisten in 
Eechowoth. Hier fanden wir einen Typus vor, der 
unserem Ideal von einem jüdischen Bauern sehr nahe 
kommt, denn ausser tüchtigen und fleissigen Arbeitern 
sind die Ansiedler sämtlich gute Juden und zwar in 
jeder Beziehung. Für die religiösen Bedürfnisse ist 
vorzüglich gesorgt, in der kleinen Synagoge, die fUnf 
Sifrc Thorah besitzt, wird täglich Gottesdienst nach 
aschkenasischem Ritus gehalten, Mikweh ist vorhanden, 
Schochet selbstverständlich etc. Die Schule ist für 
die Vorhältnisse einer Dorfschule sehr gut eingerichtet, 
vielleicht selbst diesen Rahmen noch etwas über- 
schreitend, sie hat 5 Klassen, in ilciicn .'1 Lehrer e.-i. 




— 70 — 

40 Knaben und Mädchen im Alter von 5 — 11 Jahrein 
unterrichten. Audi die Erwachsenen haben ausser der 
Alltagsarbeit noch geistige Bedürfnisse, in jedem Hause 
sind wenigstens einige Bücher, das Dorf besitzt auch 
eine eigene kleine Bibliothek, die Kolonisten benutzen 
aber ausserdem auch die Jaffaer Bibliothek und jeder 
Wagen, der zur Stadt fährt, muss für einige derselben 
Bücher mitbringen. In dem Dorfe existieren drei Ver- 
eine, Chewra kadischa, Mewakker Chaulim und Gemilluth 
Chassodim, übrigens auch eine kleine Apotheke. Das^ 
erfreulichste ist aber der Ernst und Eifer, mit dem die 
Kolonisten bestrebt. sind, ihre ganze Lebensfühiiing zu 
einer streng jüdischen zu gestalten und sich alles 
fremden nichtjüdischenEinflusses zu erwehren. Hebräisch 
ist die Unterrichtssprache in der Schule, in hebräischer 
Sprache werden alle Fächer gelehrt und die Eltern, die zum 
Teil selbst nicht ausreichend hebräisch können, sondern 
auf den Jargon angewiesen sind, halten doch darauf, 
dass die junge Generation die hebräische Sprache auch 
unter sich, beim Spiel, wie bei der Arbeit wirklich 
spricht. Alle Namen sind biblisch, die Kinder heissen 
Assaph, David, Joab, Deborah etc., auch den Tieren, 
werden Namen gegeben, die sich auf Jüdisches be- 
ziehen. Wir fuhren mit einem Gespann, dessen Pferde 
Nimrod und Balak hiessen, und hörten Hunde 
mit dem Namen Titus und Stöcker zur Ruhe verweisen» 



— 71 — 

Noch einen Zug will ich hervorheben, die wahrhaft 
rührende Gastfreundschaft der Kolonisten, die an die 
Zeiten Abrahams erinnerte, und von den Wohlhabendei*en 
wie den weniger Bemittelten gleichmässig ausgeübt 
wurde. Durch sie wird das Bild echt jüdischen Lebens 
erst vollständig, das uns die Kolonie Bechowoth bot. 

Wir verwandten diesen Abend und den nächst- 
folgenden Morgen auf die Besichtigung der Kolonie 
und konnten dabei einer interessanten Scene beiwohnen. 
Die Kolonie hat mit dem Scheik der nächstgelegenen 
arabischen Ortschaft ein Abkommen getroffen, wonach 
sie einen Wächter mit 90 fr. pro Monat besoldet, deö 
der Scheik stellt. Dafür ersetzt derselbe jeden Dieb- 
stahl, Raub etc., der trotz des Wächters vorkommen 
sollte, vollständig. Einen Kolonisten war nun eine 
Kuh gestohlen und der Scheik verhandelte vor dem 
Vorstand der Kolonie mit dem Bestohlenen über den 
Wert der Kuh. Die Verpflichtung zur Zahlung er- 
kannte er sofort an, nur den Preis wollte er möglichst 
drücken, nach dreistündigem Handeln einigten sich in- 
dessen die Parteien und der Kolonist soll nicht schlecht 
dabei fortgekommen sein. 

Wir übernachteten bei dem Apotheker ürabowski, 
der mit Levin Epstein und Goldin in unserer Bewirtung 
wetteiferte. Allen unseren freundlichen Wirten sei hier- 
mit nochmals unser herzlicher Dank abgestattet« 



— 72 — 

vni. 

Für den nächsten Tag war in unserem Beiseplan 
die Besichtigung Ton Ekron in Aussicht genommen, um 
dann Mittags mit der Bahn von Ramleh nach Jeru- 
salem zu fahren. Alles war audi ganz schön kalkuliert, 
aber einer jener unberechenbaren Zwischenfälle, die auf 
diesen Reisen so häufig smd, warf den Plan Ober den 
Haufen. Genau nach Verabredung standen wir friih 
auf, besahen uns Bechowoth noch recht genau und 
kräftigten uns dann durch ein gutes FrQhstttck, mit 
dem uns Frau Epstein bewirtete; alsdann bestieg unsere 
ganze Gesellschaft, nämlich Herr und Frau Braude, 
Herr Epstein und wir beide zwei Wagen und fort ging 
es. Ziandauer muss man sich freilich unter diesen 
Wagen nicht vorstellen, vielmehr ganz gewöhnliche 
Leiterwagen, dafür war der Weg aber um so schlechter. 
Es war ein einfacher Feldweg, der oft kaum erkenn- 
bar durch die weite wenig gewellte Sandfläche sich 
zog, deren eintöniges gelbliches Grau nur selten der 
grUne Schimmer eines Grashalms, öfter auch graues, 
hochgeschossenes, stachliehes Domengesträuch unter- 
brach. Eine ungemütliche Abwechslung boten uns die 
Wadys, die Wasserläufe, welche die Ebene durchziehen, 
die um die gegenwärtige Jahreszeit aber vollkommen 
trocken sind. Da der Weg über sie hinwegführt. Brücken 



- 73 — 

aber nirgends vorhanden sind, so fährt der Wagen im 
Trabe das steile Ufer hinunter und sofort am anderen 
Ufer wieder hinauf. Wenn man bedenkt, dass diese 
Wadys oft 6—8 Fuss tief und nur 20—30 breit sind, 
so wird man sich vorstellen können, dass der Leiter- 
wagen bei solchem Experiment seine Insassen recht 
schlecht behandelt. Oft kommen auch trockene Wasser- 
läufe vor, die den Reisenden nötigen abzusteigen, ehe 
die Durchfahrt beginnt, denn allerlei kleine Abenteuer, 
wie Umfallen des Wagens und Steckenbleiben desselben 
sind nicht gar so selten. Von dieser Abwechslung ab- 
gesehen, ist die Gegend, die man durchfährt, sehr em- 
tönig, selten trifft man andere Reisende und nur die 
Linien der blauen Berge Judas im Hintergrunde ver- 
schönem die wüstenartige Szenerie. Aber so trostlos 
diese Gegend auch aussieht, es ist Überaus fruchtbares 
Land, jetzt die Sephela, die Ebene der Philister ge- 
nannt, die wir durchwandern, um an die Stätte der 
alten Philisterstadt Ekron zu kommen, wo jetzt ein 
blühendes jüdisches Dorf Ekron liegt, auch nach der 
Mutter des Protektors Maskereth Bathja genannt. Viel- 
leicht steht auf dem Platze, wo im Tempel des Baal 
Sebub jene Philister ihre Siege über die Juden feierten, 
jetzt die jüdische Synagoge und noch mancherlei wichtige 
historische Funde. Altertümer aus der Zeit der Philister- 
fdrsten, mögen im Boden vergraben der Auferstehung 



— 74 — 

han-en, die ihnen vielleicht der jüdische Pflug bringt^ 
der die Felder durchfurcht. Der Baab Sebub, der 
Fliegengott, aber hat seinen Sitz wohl nach Brindisi 
oder Port Said verlegt. 

Ekron nimmt in der Reihe der jüdischen Kolonien 
im heiligen Lande eine eigene Stellung ein. Als der 
grossmütige Protektor beschloss, sich mit der Koloni- 
sation in Palästina zu befassen, wünschte er ein Ex- 
periment zu machen, in wie weit die Kolonisatioa 
rentabel sein könnte. Während bisher auf jülen 
jüdischen Dörfern nur Leute arbeiteten, denen der land- 
wirtschaftliche Beruf fremd war, die vorher Handel 
oder ein Handwerk betrieben hatten, nahm er 1884 
eine Anzahl Familien aus den jüdischen Kolonien in 
Südiiissland nach Palästina, kaufte ihnen ein Ten-ain 
von ca. 700 Hektar bei dem Dörfchen Akir auf der 
Stätte des alten Ekron und liess sie dort den schon 
aus Eussland her gewohnten Kömerbau treiben. Das 
Experiment glückte vollständig, die Ernte erwies sich 
als genügend, um die an bescheidene Lebensweise ge- 
wöhnten Bauern zu ernähren und alles ging gut, bis 
die Administration beschloss den vorzüglichen Boden 
zu besser rentierenden Plantagen auszunützen. Dies 
geschah und bildet jetzt den Ruhm des Dorfes, das 
zweierlei Anbau treibt, denn während die Ad- 
ministration eine grossartige Baumpflanzung angelegt 






— 75 — 

hat, bauen die Kolonisten wie früher noch Weizen^ 
Sesam und Gerste. 

Wir gingen natürlich zuerst, die Bujare, wie hier 
zu Lande diese Art Plantagen heissen, zu besiehtigett 
und hatten unsere Freude an den grossartigen Anlagen. 
Ein mächtiger Brunnen versah das ganze weite Terrain 
mit Wasser und kleinere und grössere Kanäle führen 
das segensreiche Nass den Bäumen zu. Wir sahen die 
verschiedensten Fruchtbäume in allen Grössen, von dea 
Schösslingen in den Baumschulen bis zu den fast aus- 
gewachsenen, schon fruchttragenden Bäumen. Man sagte 
uns, dass die Birjare zur Zeit enthielte: 1519 grosse, 
1300 kleine Ethrogimbäume, 28000 Gel-, 1200 Granat- 
äpfelbäume, 400 Orangen-, 8000 Mandel-, 1150 Aepfel-, 
9500 Maulbeer- und 7134 Aprikosenbäume. In ge- 
ringerer Zahl zeigte man uns noch Bananen, Datteln, 
Feigen, Zitronen, Pfirsiche, Mimosensträucher etc. und 
verschiedene andere Fruchtbäume sollen noch versuchs- 
weise angepflanzt werden. Die Bauern ihrerseits hatten 
1600 Dunam mit Weizen, 1800 mit Sesam bepflanzt 
und waren mit ihren Emteresultaten ganz zufrieden. 
Die Kolonie hat auch einen für palästinensische Ver- 
hältnisse ganz respektablen Viehbestand, den einzelnea 
Bauern gehören 16 Pferde, 8 Esel, 40 Ochsen, 55 Milch- 
kühe, 98 Kälber, wozu im Besitz der Administration 
noch 1 Pferd, 1 Esel und 29 Maultiere kommen, zusamme» 



— 76 — 

•248 Stack Vieh, natOrlich noch viel Geflügel ausserdem. 
Im Dorfe leben 28 Familien mit 198 Seelen, ferner 
noch 13 jüdische und 20 arabische Tagelöhner. Unter 
den Baulichkeiten sehen wir nur noch sehr wenig 
hölzerne, fast alle sind aus Stein, 35 Häuser, femer 
Stallungen, Scheunen, Wächterhäuser, Schuppen etc. 
Ausserdem sind zwei mehrstöckige Gebäude vorhanden, 
von denen das eine die Administration und die Apo- 
theke beherbergt, das andere für die Synagoge und die 
Schule den Platz bietet. Sehr gerühmt wurde uns die 
Schule, der Lehrer Hurwitz vorsteht, und in der 40 Kinder 
zu unterrichten sind. Er ist einer der eifrigsten Kämpfer 
für Hebräisch, hat sogar durchgesetzt, dass die Kinder 
die heilige Sprache vollständig beherrschen lernen und 
sich ihrer auch im AUtagsverkehr bedienen. 

Auch in Ekron oder Maskereth Bathjah, wie es 
heisst, wurden wir sehr gastfreundlich aufgenommen; 
obwohl wir den Herrn Bril, den Administrator, nicht 
zn Hause trafen, so Hess man uns in seinem Hause 
doch nicht eher fort, bis wir uns dazu verstanden hatten 
-ein reichliches Frühstück einzunehmen. 

Wir mussten aber bald eine Schattenseite der all- 
z\x liebenswürdigen Gastfreundschaft erfahren. In 
unseren Plane lag es an diesem Mittag noch nach 
Jerusalem zu fahren und desshalb von Ramleh 
aus die Bahn zu benutzen. Bis Ramleh musste uns 



— 77 -^ 

der Wagen bringen, den wir von Rechowoth aus be*- 
nutzt hatten, und da wir uns bei dem Frtthstück und 
bei der Besichtigung der Bujare etwas verspäteten, so 
trieben wir Nimrod und Balak, die beiden Gäule vor 
unserem Leiterwagen, zur grössten Eile an, der diese 
guten Ackerpferde fähig waren. Unser Kutscher, ein 
junger Mann aus Rechowoth, verkürzte uns den Weg' 
durch seine Plaudereien und gab allerlei kleine Züge 
aus dem Kolonistenleben zum Besten. Er war in Russland 
Kaufmann (Kommis in einem grösseren Geschäft) ge- 
wesen, aber als wir ihn fragten, was er vorzöge: sein 
verhältnismässig bequemes Leben in Russland oder die 
schwere Arbeit des Bauern in Palästina, sah er uns 
an, als seien wir verrückt und meinte, dass er nicht 
um viel Geld tauschen würde. In Russland müsse der 
Jude sich vor jedem Goi und gar vor jedem Polizisten 
bücken, im heiligen Lande kann er sein eigener Herr 
auf seinem eigenen Grund und Boden sein. 

AUmälig ging die öde Steppe, die wir zuerst durch- 
fuhren, in Olivenwaldungen über, die uns die Nähe von 
Ramleh ankündigten. lYeilich Waldungen nach deutscher 
Art sind das nicht, denn die Olivenbäume, wenn sie guten 
Ertrag bringen sollen, müssen sehr weit von einander 
stehen und mit ihrem grauen Laub sehen sie ohnedies 
immer wie verstaubt aus. Ramleh ist von solchen 
Anpflanzungen rings umgeben und ein wichtiger Mittel- 



— 78 — 

pankt des Oelhandels in Palästina, sonst freilich ein 
recht uninteressantes Städtchen mit 9611 Einwohnern, 
worunter nur 166 Juden sind. Die letzteren, meist 
kleine Handwerker, haben sich in den letzten Jahren 
dort niedergelassen und zwar zum grossen Teil durch 
die Hilfe des Vereins Lemaan Zion in Deutschland, 
4er unter s^aen Attfgahea auch, die zählt,, die jüdischen 
Handwerker aus Jerusalem in die kleineren Städte 
des heiligen Landes zu verpflanzen, wo sie leichter 
Arbeitsgelegenheit und damit Brot finden können, als 
in dem überfüllten Jerusalem. Als wir uns dem Bahn- 
hof näherten, ging gerade der Zug ab und wir begriffen 
mit Schrecken, dass alle unsere Eile umsonst gewesen 
sei. Es konnte uns auch wenig trösten, als wir ver- 
nahmen, dass wir eigentlich hätten zur Zeit kommen 
müssen, aber gerade mit diesem Tage (es war der 16. Ok- 
tober) an dem wir fahren wollten, trat der Winter- 
fahrplan in Kraft und nach diesem gingen die Züge 
eine Viertelstunde früher. Der Trost war an sich ja 
•ganz gut, wir konnten wenigstens auf die Bahnver- 
waltung und ihren Winterfahrplan, von dem Niemand 
etwas gewusst hatte, schimpfen, es half aber doch 
nichts, uns blieb nur die Wahl entweder 24 Stunden 
in dem langweiligen Ramleh liegen oder zurück nach 
Ekron zu unseren Freunden. Wir wählten das letztere, 
zurück gings nach Ekron und als wir dort ankamen 



— 79 — 

und hörten, dass unsere Freunde nach Gadrah weiter- 
gefahren waren, so* fuhren wir auch dorthin nach, wo 
wir um 5 Uhr Nachmittags denn auch wieder mit 
ihnen zusammentrafen und gemeinsam die Kolonie in 
Augenschein nahmen. 

IX. 

Gadrah oder Katra ist eine der ältesten Kolonien 
und eme von denen, welche mit den grössten Schwierig- 
keiten zu kämpfen hatten. Die Begründer waren be- 
kanntlich russische Studenten, in denen die Judenver- 
folgungen der Jahre 1881/82 das Gefühl der Zusammen- 
gehörigkeit mit ihrem Stamm und ihrem Bekenntnis 
neu geweckt hatten. Als dann der zündende Gedanke 
von der Kolonisation Palästinas in die Massen geworfen 
wurde, entstand auch bei diesen jungen Leuten heisse 
Begeisterung für eine befreiende That in dieser Kichtung. 
Kurz entschlossen gingen sie nach dem heiligen Lande, 
kauften sich Grund und Boden bei dem arabischen 
Dörfchen Katra und nun wollten sie Bauern sein. Aber 
jetzt begann ein bitterer Kampf der herben Wirklich- 
keit mit dem Idealismus, in dem sich die jungen Kolo- 
nisten wahrhaft heldenhaft benahmen. Von allen Seiten 
erwuchsen ihnen Schwierigkeiten, freilich meist durch 
ihre eigene Unerfahrenheit verschuldet. Das Land, 
das sie erworben hatten, erwies sich als unfruchtbar 



— So- 
und fUr die Zahl der Kolonisten daher noch zu klein. 
Ungeheuere Arbeit war nötig, umT das Terrain urbar 
KU machen, DQnger musste in grossem Massstabe dem 
Felde zugeführt werden, die hemmenden Feldsteine be- 
seitigt werden. Es war eine Arbeit, zu der die ganze 
durch lange Generationen erworbene Tüchtigkeit uralter 
Bauemgeschlechter gehörte und die jungen frischge- 
backenen Bauern waren Männer der Feder, zum Teil 
mit akademischer Bildung, alle von einer hohen Stufe 
der sozialen Leiter und diese Elemente sollten dia 
gröbste und schwerste Arbeit verrichten, bei der schon 
der unvermeidliche Schmutz ihre empfindlichen Nerven 
peinigte. Dazu kam, dass die Ansiedler noch unver- 
heiratet waren, dass sie daher auch die Arbeiten im 
Haushalt selbst verrichten mussten und ihnen die 
gerade bei der Landwirtschaft so nötigen weiblichen 
Hilfskräfte fehlten. Endlich noch das Uebel des Landes : 
Chikanen seitens der Beamten, die die Erlaubnis zum 
Häuserbau verweigerten, und der für die erste Koloni- 
sation in Palästina typische Geldmangel. Aber der 
jüdische Idealismus siegte dennoch, so unwahrscheinlich 
dies auch schien, freilich nur unter ungeheuren Opfern 
und Leiden der armen Kolonisten. Mussten einige von 
ihnen, die der schweren Arbeit nicht gewachsen waren, 
aus dem Dorfe fortgehen, so kamen andere, schliesslich 
auch einige Verheiratete mit ihren Familien. Durch 



— 81 — 

Tagelöhnerdienste in den nächsten Dörfern erwarben 
die Bauern von Gadrah das Geld zum Kauf des 
Düngers und in Körben trugen sie ihn auf das Feld, 
weil alles Gerät fehlte. Schliesslich traten die neu 
entstandenen Vereine ein und sandten etwas Geld, so 
dass Vieh und Ackergerät beschafft werden konnte, 
später auch die zum Hausbau nötigen Summen. Auf 
dem Terrain war ursprünglich nur ein Bau gewesen, 
den die Kolonisten zum Stall für das bei ihrer Armut 
um so kostbarere Vieh einrichteten. Sie selbst schliefen 
im Freien und erst allmählich konnten sie sich Holz- 
hütten, dann steinerne Häuser bauen. So entstand 
unter unsäglichen Kämpfen die blühende Ansiedelung, 
die wir vor uns sahen. 

Schon ehe wir in das Dorf hineinfuhren, das auf 
einem Hügel liegt, fiel uns eine stattliche Einderheerde 
auf durch das gute Aussehen der Tiere und ganz be- 
sonders durch die Sauberkeit, mit der dieselben offen- 
bar gehalten waren. Denselben Eindruck machte uns 
dann auch das kleine, aus einer einzigen Gasse be- 
stehende Dorf. Eine breite, sauber gehaltene Strasse 
mit 2 Eeihen Bäumen bepflanzt und bescheidene, aber 
gut gebaute und gehaltene Häuser daran, 19 steinerne, 
sowie noch einige hölzerne von früher her. Wiederum 
wetteiferten die Kolonisten mit einander, wer uns be- 
wirten durfte und so einfach natürlich und so ländlich 

6 



— 82 ~ 

auch diese Bewirtung begreiflicherweise sein musste« 
so wohlthuend war der Eifer der fast durchweg sehr 
intelligenten Bauern, uns ihre Gastfreundschaft zu be- 
weisen. Ein Spaziergang durch das Dorf und einige 
Felder und Pflanzungen zeigte uns vielerlei interessantes. 
Das ganze Terrain der Kolonie beträgt 3000 Dunam 
— 270 Hektar, wovon aber nicht alles anbaufähiges 
Land ist. Es wohnen auf demselben 20 Familien mit 
ca. 100 Seelen, jede Familie hat 4 —5 Rinder, Kälber 
etc. Die Hauptnahrung erwirbt die Kolonie durch 
Weinbau, denn es sind ca. 200000 Reben gepflanzt. 
Die Trauben werden meist in den Kellern der Ad- 
ministration geliefert, doch erzeugen die Kolonisten 
noch selbst in primitivster Weise auch Wein und 
Cognac, der zwar nicht so gut wie der von Rischon 
le Zion, aber immerhin noch verkäuflich ist, besonders 
da er grosse Billigkeit voraus hat, denn die Flasche 
dieses Weines kostet nur 20 Pfg. Neben Wein wird 
auch Getreide angebaut, der Weizen trug in diesem 
Jahre 12 fältig, der Sesam 30fältig und das Gesamt- 
resultat war sehr zufriedenstellend. Die Kolonie kann 
denn auch seit dieser Ernte jeder Stütze entbehren, 
nur die Kosten des Schochet zahlen die Odessaer 
Chawawe Zion noch. Natürlich hat das Dorf alle 
Erfordernisse einer jüdischen Gemeinde, Synagoge, 
Mikweh etc., auch sind ausser dem Schochet noch an- 



— 83 — 

gestellt ein Melamed, ein Apotheker, der zugleich Feld- 
scheer ist und ein arabischer Wächter. Die Kinder 
sind alle noch sehr jung, so dass die Frage nach dem 
Lehrer noch nicht aktuell war, jedoch wollen die Kolo- 
nisten einen solchen bald auf gemeinsame Kosten an- 
stellen. 

Zwei Merkwürdigkeiten möchten noch erwähnt 
werden, die eine, dass jene russischen Studenten, die 
einst in religiöser Beziehung die schlimmsten Nihilisten 
waren,* auf dem Boden des heiligen Landes sich all- 
mählich daran gewöhnt haben, fromme Jehudim zu 
sein und heute alle Vorschriften skrupulös befolgen, 
imd die zweite, dass in dieser Kolonie man noch an 
dem jüdisch-deutschen Jargon festhält und keine Vor- 
liebe für hebräisch bezeugt, doch hat auch hier der 
Geist der Zeit und des Landes schon eine Wandlung 
angebahnt. 

Als wir schon zum Scheiden bereit waren, führte 
uns einer der Kolonisten noch einmal auf sein Grund- 
stück, um uns recht drastisch die P]ntwickelung der 
Kolonie zu zeigen. Er wies auf sein hübsches steinernes 
Haus, den Stall, in dem 4 Kühe standen, den Hühner- 
stall und die Hundehütte und erklärte uns, wie er, als 
er zuerst auf das Dorf gekommen sei, in dem Bretter- 
gestell habe schlafen müssen, das jetzt sein Hund be- 
nutze. Das Jahr darauf baute er ein hölzernes Häuschen, 



— 84 — 

in dem jetzt sein Geflügel war, und darin wohnte er 
mehrere Jahre. Als dann die Bauerlaubnis von der 
Behörde eintraf, errichtete er einen hölzernen Schuppen, 
in dem er gemeinsam mit dem inzwischen angeschafften 
Vieh hauste und als er sich dann verheiratete, diente 
ihm die Mitgift der Frau zur Errichtung des steinernen 
Hauses, in dem er jetzt wohnte. Damit erklärte er 
dann auch alle seine Wünsche befriedigt, wir aber 
waren fast zu Thränen gerührt ob dieser kurzen und 
einfachen Schilderung der Leiden jener Kolonie. 

X. 

Noch an demselben Abend fuhren wir bei schönem 
Mondschein nach Eechowoth zurück, wo wir über- 
nachteten, und am anderen Tage bei guter Zeit nach 
Eamleh aufbrachen, wo wir denn auch den Zug recht 
bequem erreichten. Wir fuhren nach Jerusalem, wo 
wir 2V2 Tag blieben und dann wieder nach Jaflfa mit 
der Bahn zurückkehrten. Die Eindrücke, welche wir 
auf dieser Eeise in Jerusalem sammelten, will ich mit 
denen meines zweiten Aufenthaltes zusammenfassen 
und in einem späteren Kapitel zu schildern versuchen. 

Hatten unsere bisherigen Streifzüge den südlich 
von Jaflfa gelegenen Kolonien gegolten, so brachen wir 
nun nach der anderen Hälfte der jüdischen An- 
siedelungen, den beiden Gruppen in Galiläa, auf. Auf 



— 85 — 

dem Wege dorthin wollten wir auch die Kolonie Pethach 
Täwah kennen lernen, die kaum 2 Stunden nördlich 
von Jaffa liegt. Der Weg führt nicht weit von Jaffa 
aa der Templeransiedelung Sarona vorbei, einer grossen, 
einen erfreulich an Deutschland mahnenden Eindruck 
in uns hervorrufenden Kolonie jener württembergischer 
Bibern, welche sich in den 60 er Jahren hier nieder- 
fiessen, um den Messias hier zu erwarten. Auch sie 
hatten viele Schwierigkeiten zu Oberwinden, aber jetzt 
befinden sie sich materiell in sehr günstiger Lage. 
Zwar ist ihr Oetreidebau nicht bedeutend, ihr Wein 
recht schlecht und bringt nur minimalen Ertrag, aber 
sie treiben eine ausgedehnte und sehr rentable Milch- 
wirtschaft, die für Jaffa zu guten Preisen und in nam- 
haften Quantitäten Milch und Butter, auch etwas Käse 
produziert. Sie besitzen viel und guten Boden und 
sind als tüchtige Arbeiter weit bekannt, aber sie können 
das Klima nicht vertragen und zwar leidet besonders 
die jüngere Generation darunter, so dass die alten 
Bauern, die aus Deutschland eing^nrandert sind, zwar 
fiick noch ganz gut befinden, ihre Kinder aber in un- 
geheurer Mehrzahl ganz jung sterben. Wir fanden die- 
selbe Beobachtung bestätigt an dem Verfall der Tscher- 
kessen-Niederlassung in Chedereh und der gleichen An- 
siedelung der Bosniaken bei Caesarea. Beide sind schon 
iEMst ausgestorben, so dass es scheint, als könnten die 



— H6 — 

Fremden das Klima des Landes nicht vertragen. Die 
Juden aber haben in ihren Dörfern mit Ausnahme von 
Peihach Tikwah und Chedereh eine sehr geringe Sterb- 
lichkeit, die freilich zuerst etwas grösser war, aber 
allmählich sehr erfreulich abgenommen hat. Auch die 
Kindersterblichkeit ist jetzt mit Ausnahme dieser zwei 
Kolonien, bei denen besondere Umstände obwalten, sehr 
gering. Die Juden sind eben im heiligen Lande ihrer 
Väter zu Hause und das Klima ist nur für Fremde 
getährlich. Der Leser möge die kleine, wie ich glaube, 
nicht uninteressante Abschweifung verzeihen, ich kehre 
zu meinem Thema zurück. 

Eine zweistündige Fahrt brachte uns gegen 10 Uhr 
nach der Kolonie Pethach Tikwah (2J. Oktober), einem 
grossen Dorfe, der grössten unter den jüdischen An- 
siedelungen in Judaea und der ältesten. Hier machten 
schon 1878 Jerusalemer Juden den Versuch zu Bauern 
zu werden, gaben ihn aber bald wieder auf und auch 
ein zweiter, ein Jahr später unternommener Versuch 
führte zu keinem besseren Resultat. Aber 1882 siedelten 
sich russische Flüchtlinge in dem verlassenen Dorfe 
an und nun begann ein neues Leben. Leider zerfällt 
die grosse Kolonie in drei Teile, von dem mächtigen 
Terrain, ca. 15000 Dunam = 1360 Hektar gehören 
550 Hektar der Administration, 80 Hektar dem in 
Hamburg lebenden Philanthropen Lachmann, der Rest 



— 87 - 

einzelnen Besitzern. Dementsprechend stehen dann 
auch 28 Familien unter der Administration, während 
die anderen unabhängig sind. Es leben im Ganzen 
auf der Kolonie ca. 100 Familien mit 648 Seelen in 
ca. 80 Häusern, wovon noch viele hölzern sind und 
zum Teil recht erbärmlich aussehen. Der Gesundheits- 
zustand ist in Folge der nahen Audschsümpfe nicht 
der beste, doch haben sich auch hier die EucaJyptus- 
bäume als Fieberfänger bewählt und wesentlich zur 
Hebung des Gesundheitszustandes beigetragen. Diese 
Pflanzungen sind natürlich von der Administration an- 
gelegt, welche auch eine Million Weinstöcke hat setzen 
lassen, sowie eine Menge Fruchtbäume. Sie betreibt 
auch etwas Getreidebau, wozu ein Dampfflug dient. 
Interessant sind die in dieser Kolonie gemachten Ver- 
suche mit dem Theebau, die kleinen Theebäumchen 
gedeihen hier ganz gut, während auf allen anderen 
Kolonien die zarten Pflanzen eingingen. Allerdings ist 
auch hier der Versuch noch nicht beendet und das 
ßesultat mit Sicherheit noch nicht vorauszusagen. Die 
Administration unterhält eine Schule, der Madame 
Färb vorsteht, während ihr Gatte die Administration 
führt. In dieser Schule werden ca. 80 Kinder unter- 
richtet und zwar, was für eine Dorfschule eine ziemlich 
hohe Aufgabe ist, in vier Sprachen, Hebräisch, Arabisch, 
Türkisch imd Französisch. Auch eine Apotheke, deren 



— 88 ~ 

Verwalter zugleich Feldscheer ist, wird von der Ad- 
ministration erhalten, während der Arzt Dr. Masie aus 
lUschon le Zion zweimal die Woche nach Pethach 
Tlkwah kommt. 

Ein zweiter Mittelpunkt für einen Teil der Kolonie 
bildet das Gut des Herrn Lachmann, dessen Verwalter 
Herr Liebreich, früher in Jerusalem, ist. Auf dem- 
selben werden etwas Getreidebau und etwas Weinbau 
getrieben, der Hauptteil des Gutes aber von einer 
grossen Biyare eingenommen, ftir deren Bewässerung 
ein mächtiger Brunnen angelegt ist. Die ganze An- 
lage, besonders die Apfelsinenplantage, sieht sehr viel- 
versprechend aus, ein Agronom, der in imserer Gesell- 
schaft war, rühmte sehr den geordneten Betrieb des 
Gutes. Das zu demselben gehörige Wohnhaus ist zwei- 
stöckig und enthält ausser den Wohnräumen die Schul- 
zimmer der Talmud Thora, die aber zur Zeit nur von 
9 Kindern besucht wurde. Im Ganzen war der Ein- 
druck dieses Lachmann'schen Gutes ein sehr guter. 

Zwischen diesen beiden Polen liegt noch eine 
Gruppe von ca. 50 Häusern, meist sehr klein und 
primitiv, auch häufig aus Holz, nur selten waren Ställe 
bei den Gebäuden zu sehen und etwas von Vieh zu 
entdecken. In diesen Häusern wohnen ca. 50 Familien, 
denen der grösste Teil der Ansiedelung, ca. 700 Hektar 
gehört, die aber gar keinen Ackerbau oder nur zum 



— 89 — 

kleinsten Teil treiben. Die meisten von ihnen sind Tage- 
Itoer, einige Handwerker, einige haben kleine Geschäfte 
gehen wohl auch hausieren. Manche von ihnen nehmen 
^uch Chalukah, d. h. Armen-Unterstützung in Jerusa- 
lem. Keineswegs lassen sich diese 50 Familien einfach 
als Bauern behandeln. Dieser Teil der Kolonie hat 
schon häufig Unterstützung von den Kolonisations- 
vereinen erhalten. 

In Jehudije, das gleichfalls zu Pethach Tikwah 
gehört, stehen noch 16 Häuser, doch sind dieselben 
der gesundheitsschädlichen Ausdünstungen der nahen 
Audschsümpfe halber fast leer. Nur einige Familien, 
welche in Pethach Tikwah arbeiten, haben sich dort 
häuslich niedergelassen. 

Gelänge es die sogenannten unabhängigen Kolo- 
nisten auch unter die Leitung der einen Administration 
zu bringen und erhielte die Kolonie dann einen ener- 
gischen und fähigen Administrator, so könnte sie un- 
zweifelhaft zu grossem Blühen gebracht werden. 

Wir strebten noch denselben Tag nach Chedereh 
zu gelangen und fuhren daher Mittags 3 Uhr weiter, 
ohne uns durch die Warnungen vor Räubereien bein^en 
zu lassen. Herr Liebreich schickte uns noch seinen 
Sohn zu Pferde nach, übrigens einen ausgezeichneten 
Reiter, um uns die Warnung zu wiederholen, wir liessen 
uns aber nicht einschüchtern, obwohl keiner von uns 



— 90 — 

drei Reisegefährten eine Waffe besass und der Kutscher 
ebenfalls nicht, denn wir hatten schon öfter Gelegen- 
heit gehabt, die übertriebene Furcht vor solchen an- 
geblichen Räubern in Palästina als recht grundlos zu 
verlachen. 

XL 

Die Landschaft zwischen Pethach Tikwah und 
Chedereh ist nicht mehr so eintönig, als die Gegend 
um Jaffa, zwar die Landstrasse zieht sich noch durch 
die glatte Fläche der Ebene Saron, aber zur Linken 
sieht man die niedrigen grauen Dünen, die das mittel- 
ländische Meer dem Auge verbergen und nur selten 
einen Blick auf die weite blaue See gestatten, und zur 
Rechten treten häufig Hügel an die Landstrasse heran, 
die Ausläufer des Gebirges Ephraim. Um diese Jahres- 
zeit ist die ganze Ebene vertrocknet und nicht viel 
mehr als ein Sandfeld, aber hin und wieder unterbrechen 
doch grüne Oasen die Einsamkeit der Steppe. Unsere 
Gesellschaft bestand ausser uns beiden Berlinern nur 
aus Herrn Margulies Kalvarisky, der sich ange- 
schlossen hatte, um die ihm noch unbekannten nörd- 
lichen Provinzen Palästinas kennen zu lernen, und dem 
Kutscher, einem Kolonisten von Sichron Jaacob. Das 
erste Dorf auf unserem Wege ist Kilkilije, ein durch 
den Fanatismus seiner Bewohner berüchtigtes Nest, 




— 91 — 

wo auch wir ein kleines, spasshaftes Abenteuer hatten. 
Während der Kutscher unsere Pferde tränkte, kamen 
Araberjungen heran, betrachteten sich die „Frandschi" 
und fingen alsbald an unter Schimpfworten mit Steinen 
zu werfen. Herr Margulies aber zog aus seiner Tasche 
sein Opernglas hervor, und als er dasselbe wie einen 
Revolver erhob, stob die ganze Bande laut schreiend 
auseinander, ohne sich wieder blicken zu lassen. Dieser 
übrigens auch nur spasshafte Konflikt war der erste 
und einzige auf der ganzen vierwöchentlichen Reise 
und wir haben es nicht bedauert, dass wir ohne die 
geringste Waffe unsere Tour gemacht haben Das 
zweite Dorf, in dem wir Rast machten, Karkoun 
hinterliess einen viel günstigeren Eindruck, denn hier 
fiel uns die seltene Schönheit der arabischen Männer 
und Knaben auf, die während des Aufenthalts mit 
freundlichem Geplauder unseren Wagen umdrängten* 
Beim Weiterfahren, es war schon 6 Uhr und dunkel 
geworden, machten wir die trübe Entdeckung, dass 
unser Kutscher den Weg nicht mehr recht wusste und 
als wii* kurz darauf zu einer dem Kaimakam von TuU 
Kerim gehörigen Bujare kamen, wo einige Bewaffiiete 
stationiert waren und diese uns im schönsten Jargon 
versicherten „Seind Ganotim auf Weg", da gingen wir 
auf den Vorschlag des Kutschers ein uns einen bewaffneten 
Begleiter und Führer mitzunehmen. Einer der hier 



— 92 — 

stetionierten arabischen „Chajale" (bewaffnete, meist 
auch berittene Begleiter) wurde fUr 5 francs engagiert 
um uns sicher nach Chedereh zu bringen und nahm 
auf dem Wagen Platz. Er war ein netter Mensch, 
heiter, gesangeslustig, nicht unintelligent und einiger 
Jargonausdrücke kundig. Hier konnten wir auch be- 
obachten, wie nahe verwandt die hebräische und arabische 
Sprache sind, denn während Herr Margulies hebräisch, 
unser FQhrer arabisch sprach, verständigten sich beide 
recht gut. Indessen die wichtigste Eigenschaft fehlte 
dem guten Manne doch, er kannte nämlich den Weg 
gar nicht und da mittlerweile die Nacht hereingehrocheu 
war, so verirrten wir uns auf das Schönste. Mond- 
schein war leider nicht im Kalender und das Funkeln 
der Sterne, so wundervoll es dem Südländer erscheint, 
reichte doch nicht aus, um unseren Kutscher imd Führer 
sich orientieren zu lassen. So fuhren wir weiter und 
weiter und es verging Stunde um Stunde, aber wir 
fanden weder Chedereh, noch irgend eine andere An- 
siedelung, obwohl wir gar nicht weit entfernt sein 
konnten, denn die Bujare liegt nur % Stunden von 
unserem Ziele entfernt. Die Situation fing an unge- 
mütlich zu werden, obwohl wir durch Singen und 
Scherzen das möglichste thaten, um sie amüsanter zu 
gestalten. Endlich fingen wir schon an uns auf ein 
Nachtlager im Freien einzurichten, als wir wieder auf 




— 93 — 

ein^ Stelle trafen, wo wir bestimmt schon einmal eine^ 
Stunde früher gewesen waren. Einer allgemeinen Ver- 
blüffmig folgte der Entschluss, nun gar nicht mehr nach 
dem Weg zu suchen, sondern uns nur nach den Sternen 
zu richten und geradewegs unsern Kurs nach Norden 
quer über die Felder weg zu richten. Dieser Beschluss 
war auch von Erfolg gekrönt, bald hörten wir Hunde- 
gebell und sahen vor uns ein Beduinenlager, dessen 
schwarze Zelte im matten Lichte der Sterne und bei 
dem spärlichen Schein einiger Feuer einen romantischen 
Eindruck machten, den die hin- und hereilenden Menschen, 
die bei dem fahlen Licht wie gespenstige Schatten um- 
herhuschten, nur erhöhen konnten. Auf die freund- 
lichste Weise ward uns bei diesen Nomaden Auskunft, 
bald waren wir auf dem richtigen Wege und in einer 
Viertelstunde fuhren wir in Chedereh ein unter Absingen 
des Zionliedes „Dort wo die Ceder blüht." Der Ge- 
sang weckte zunächst alle Hunde des Dorfes und all- 
mählich kamen auch einige Kolonisten und endlich 
fanden wir um 12 Uhr Nachts Unterkunft bei Herrn 
Slutzki, einem uns schon von Jaffa her bekannten An- 
siedler. Wir hatten ihn freilich aus dem Bett holen 
müssen, er Hess es uns aber nicht entgelten, sondern 
nahm uns auf das freundlichste auf und schaffte noch 
in der Nacht Thee und Eier herbei, so dass wir einiger- 
massen uns restaurieren konnten, ehe wir die ersehnte 



— 94 — 

und wohlverdiente Nachtruhe auf den improvisierten, 
daher nur primitiv eingerichteten Betten suchten und 
fanden. Am andern Tage hatten wir das Vergnügen, 
festzustellen, dass wir einige Male im Kreis um das 
Dorf gefahren waren, welches wir der Dunkelheit wegen 
nicht hatten erblicken können, und so zu einem Weg 
von Va Stunden schliesslich 5 ganze Stunden gebraucht 
hatten. 

Frühmorgens weckten uns unsere Freunde, die 
Herren von Waad Hapoel: Eisenstadt, Dr. JoJBfe und 
Kaisermann, die ebentalls in Chedereh eingetroffen 
waren und gemeinsam ging es an die Besichtigung der 
Kolonie. In deren Mitte steht ein alter Khan, einer 
jener grossen orientalischen Herbergen, die .man oft 
mitten auf den Strassen sieht und wo die Reisenden 
mit ihren Tieren auf eine Nacht unterkommen können, 
ohne jedoch mehr als Obdach finden zu können, da es 
Wirte in diesen Herbergen fast nie giebt. Mit dem 
Ankauf des Landes ging dieses Gebäude in den Besitz 
der Kolonisten über, die teils aus Einzelfamilien, teils 
aus den Genossenschaften von Wilna und Riga bestehen. 
Da das Geld haperte, so richteten sich die meisten der 
Ansiedler in dem grossen viereckigen Gebäude, das 
einen weiten Hof umschliesst, so gut es ging ein, 
während nur Wenige eigene Häuser erbauen konnten. 
Es stehen daher ausser dem Khan nur noch 4 Häuser, 



— 95 — 

in der ganzen Kolonie wohnen aber 30 Familien mit 
110 Seelen, so dass man sich vorstellen kann, wie eng 
es hergeht, umsomehr, als auch für das Vieh der 
Kolonisten Raum in dem Gebäude geschaffen werden 
musste. Oft wohnen in einem Zimmer 5—7 Menschen, 
dazu noch das Federvieh der Familie etc. Wirkt diese 
Wohnungsnot ungünstig auf den Gesundheitszustand 
ein, so noch schlimmer die Nähe zweier Sümpfe, deren 
Miasmen die Luft verpesten. Obwohl die Chawawe 
Zion von Odessa einen Feldscheer unterhalten, der zu- 
gleich Apotheker ist, die Apotheke von Sichron Jaacob 
die Heilmittel liefert und der Arzt dieser Kolonie all- 
wöchentlich nach Chedereh kommt, ist der Gesundheits- 
zustand in dieser Kolonie ein recht schlechter. Ge- 
bessert kann er in durchgreifender Weise nur werden 
durch den Bau von Häusern und die Austrocknung 
der Sümpfe. 

Chedereh ist räumlich die grösste Kolonie, sie 
misst 30000 Dunam = 2700 Hektar Boden, reicht bis 
an das Meer, wo sie einen kleinen Hafen hat, und 
besitzt, da Wasser genug vorhanden ist, natürliche 
Wiesen, eine grosse Seltenheit im heiligen Lande. Die 
Kolonie könnte gut gedeihen, aber erstens hapert es 
an den oben erwähnten beiden Bedingungen, dann haben 
die Genossenschaften die Arbeit fast aufgegeben und 
die einzelnen Kolonisten sind fast ausnahmslos sehr 



— 96 — 

arme Leute, zum Teil auch der schweren Arbeit nicht 
gewachsen, oder auch unter dem Einfluss der Fieber- 
miasmen krank und hinfällig. Die Chawawe Zion thun, 
was sie können, doch reichen ihre Mittel nicht hin, 
um eine entschiedene Wendung zum Besseren herbei- 
zuführen. Sie unterhalten einen Schochet, Apotheker, 
Lehrer und Wächter und unterstützen einzelne Kolo- 
nisten, um sie über Wasser zu halten. Unter diesen 
Umständen ist hier noch nicht viel geleistet, es sind 
300000 Weinstöcke gepflanzt, sowie emige Frucht- 
bäume, endlich jener Garten von Ethrogimbäumen, der 
zu Ehren des Oberrabbiners Mohilewer Gan Schmul 
heisst. In demselben sind 3500 kleine Ethrogimbäumchen 
in einer Baumschule, die noch umgepflanzt werden 
sollen, wenn sie etwas grösser sind. Auch der Vieh- 
stand der Kolonie ist klein, 20 Pferde, 20 Esel, 
100 Stück Rindvieh, ausserdem Hühner und Enten. 
Die Ansiedelung macht von allen, die wir sahen, den 
ungünstigsten Eindruck imd ist am weitesten zurück, 
obwohl alle Bedingungen, im guten Boden etc. gegeben 
sind. Dagegen bedarf das Menschenmaterial, das gegen- 
wärtig in Chedereh ist, dringend einer Ausmusterung und 
Ergänzung, freilich darf man nicht übersehen, dass die 
Leiden der Kolonisten sehr gross sind und dass man nicht 
von Jedermann den Idealismus der Dauern von Gadrah 
verlangen darf. 



97 ~ 



XII. 

Von Chedereh führte uns am folgenden Tage der 
Weg nach Sichron Jaacob in kaum zwei Stunden. Wir 
überschritten dabei den Krokodilfluss (Nähr es Zerka), 
in dem noch vor 2 Jahren ein jüdischer Kolonist ein 
Krokodil gesehen hat. Er tödtete es durch einen Schuss 
und fand dann, dass dasselbe noch nicht ausgewachsen 
war. Seitdem ist von dieser Tiergattung kein Exemplar 
mehr gesehen worden, übrigens ist dieser Distrikt am 
Karmel, in dem die Kolonie Sichron liegt, der einzige 
in Palästina, in dem sich noch wilde Tiere befinden; 
man sieht sogar, allerdings selten, den Leoparden, im 
Lande Tiger genannt, häufiger Wildschweine, vereinzelt 
Hyänen, aber auch sanfteres Jagdwild, Rehe etc. 

Unser Weg bot nicht viel bemerkenswertes und 
war schlecht genug, aber plötzlich fiel uns eine kleine 
Brücke auf, die im Gegensatze zu der hierorts üblichen 
Gewohnheit sauber gehalten war, und gleich dahinter 
begann eine richtige Kunststrasse. Es war jüdisches 
Gebiet, in das wir nun kamen, die Gemarkung des 
grossen Dorfes Sichron Jaacob. AUmälig steigt der 
Weg an, die Landschaft wird hügeliger, wir befinden 
uns in den Ausläufern des Karmel. Von der Spitze 
dieser Hügel hat man einen schönen Blick auf die 
Berge und Hügel, in die Thäler und Schluchten des 



- 9S - 

Karmelgebirges, die sich in den mannigfaltigsten Formen 
rings umher ziehen und mit ihrer grünen Bewaldung 
den deutschen Mittelgebirgen gleichen. Vereinzelt er- 
scheinen auch kleine Häusergruppen auf den Gipfein 
und an den Abhängen und man zeigte uns die beiden 
Töchterkolonien Scheweja und Em el Gamal Auf d^ 
andern Seite schweift der Blick westwärts die Abhänge 
des Gebirges zum Meer entlang über die schmale fast 
gar nicht bebaute Küstenebene und auf das blaue 
mittelländische Meer in seiner dem Auge unübersehbar 
erscheinenden Weite, wo nur selten ein Schiflf an dem 
fernen Horizont sich zeigt und die majestätische Eiur 
Öde unterbricht. Unten am Meer erblickten wir die 
kleine Kolonie Tantura, das alte Dor, mit der leider 
feiernden Glasfabrik und bald liegt vor uns auf einem 
Berge die Kolonie Sichron Jaacob, die der Seelenzahl 
nach bei weitem grösste landwirtschaftliche Ansiedelung 
ausländischer Juden in Palästina. Die Häuser ziehen 
sich schon am Abhang entlang und wie wir so die 
vorzügliche, saubere Strasse entlang fahren an der 
grossen Kellerei vorbei, vorbei an den Erweiterungs- 
bauten^ die noch im Rohbau stehen, zwischen grossen 
und kleinen steinernen Häusern hindurch, wiederholeo);- 
lich umbiegend in einen anderen Strassenzug, bis wir 
zu dem stattlichen Platze kommen, wo das Haus des 
Administrators steht und ihm gegenüber der schttae 



— 99 — 

StÄdtpark mit der sprudelnden Fontaine, . wie wk fast 
eine Viertelstunde brauchen, um zu diesem Mittelpunkt 
der Ansiedelung zu kommen, da fragen wir uns mit 
Erstaunen, ob wir nicht in eine kleine europäische 
Stadt versetzt sind, oder ob wir wirklich im I^ande 
der Bibel uns befinden. Wie ein kleines Palais erhebt 
sich das Gebäude der Administration mit grossen weit- 
hin leuchtenden Fenstern und nicht weit davon die 
stattliche Synagoge, im schönsten Teile des Dorfes 
gelegen; und um den öffentlichen Garten, der in einigen 
Jahren ein wundervoller Park sein wird, mit seinem 
Springbrunnen etc., darf manche deutsche Kleinstadt 
jenes palästinensische Dorf beneiden. So städtisch aber 
die Mehrzahl der Häuser aussieht; wenn in der Abead- 
stunde „der Rinder buntgestimte Schaaren brüllend in 
die heimischen Ställe zurückkehren'' und Ackergerätscbaf- 
ten durch alle Strassen gefahren werden, dann gewinnt 
man rasch den Eindruck zurück auf einem Dorf zu sein. 
. Sichron Jaacob ist eine der ältesten Kolonien; von 
rumänischen Kolonisten ohne genügende Mittel und 
ohne genügendes Verständnis der Landwirtschaft ge- 
gründet und daher bald in grosse Not geraten, wurd^ 
66 durch das Eingreifen des Protektors aus d^ ti^tpn 
Not gerettet. Er vergrösaerte die Ansiedelung durcji 
Zukaiif passender Terrains und stellte die reic^ichAten 
Mittel für die Anlage der Pflanzungen zur Verfügung. 

7* 



I 



I 



— 100 — 

Jetzt umfasst das Dorf ein Terrain von ca. 22000 Du- 
nam = 2000 Hectar mit ca. 200 Familien, wozu noch 
die zahlreichen Angestellten des Protektors mit der 
grossen Zahl der jüdischen und arabischen Arbeiter 
kommen. Die jüdischen Arbeiter werden nach und 
nach als Kolonisten in den Neuanlagen Scheweja, Em 
el Gamal, Em el Tut und Tantura angesiedelt und an 
ihre Stelle können so immer neue treten. Doch sind 
auch die alten Kolonisten noch nicht alle selbstständig 
und nach dieser Richtung bleibt noch viel zu wünschen 
übrig. Ausser den jüdischen Arbeitern werden zu ge- 
wissen Zeiten eine grosse Anzahl arabische Tagelöhner 
gedungen, um bestimmte Arbeiten, besonders bei neue 
Plantagen, auszuführen. 

Gepflanzt sind in der Kolonie mehr als eine Million 
Weinstöcke, grosse Maulbeer-Haine, die eine ausge- 
dehnte Seidenzucht ermöglichen sollen, umfangreiche 
Gärten von Fruchtbäumen, von denen bisher aber nur 
die Mandel- und ein Teil der Olivenbäume Ertrag 
liefern, ferner eine grosse Baumschule und umfangreiche 
Eucalyptuswaldungen an verschiedenen Stellen der 
Kolonie. Dazu kommen noch der Park und besonders 
schöne Anlagen auf dein Friedhof, dem man die land- 
schaftlich bestgelegenste Stelle der Kolonie angewiesen 
hat. Während der Getreidebau sehr beschränkt ist, 
treiben viele Kolonisten Bienenzucht, Gemüsebau und 




— 101 - 

andere landwirtschaftliche Nebenerwerbe. Ausser den 
eigentlichen agrikulturellen Anlagen besitzt das Dorf 
eine grosse Weinkelterei mit allen Nebenbetrieben, 
Dampfmühle und eine Anzahl der verschiedensten Hand- 
werker. Ein Kolonist betreibt eine Selterwasserfabrik, 
ein anderer stellt Konserven, Mixed Pickles etc. her, 
drei ziehen Nebeneinnahmen aus dem Betriebe kleiner 
Hotels. 

In gesundheitlicher Beziehung ist es jetzt viel besser 
geworden, früher war Samaiin, wie Sichron Anfangs 
hiess, wegen der hohen Sterblichkeit verrufen, aber 
dann wurde eine Wasserleitung angelegt, die das ganze 
Dorf mit gutem W^asser versorgt, die Strassen wurden 
gut gepflastert, mit Alleen bepflanzt und damit die 
lästige Staubentwickelung, die eine der Ursachen der 
zahlreichen Augenentzündungen ist, wirksam bekämpft^ 
die Eucalyptuspflanzungen trugen das ihrige dazu bei, 
die Fieberfälle zu verhüten und gegenwärtig ist Kranken- 
und Sterblichkeitsziffer sehr gefallen. Die Kolonie hat 
gemeinsam mit den kleinen Nachbarkolonien einen Arzt, 
hat eigene Apotheke und ein gut eingerichtetes Spital 
mit ca. 20 Betten. Als wir in Sichron waren, lagen 
in diesem Spital nur 3 Kranke, von denen einer aus 
Chedereh, zwei aus Sichron waren. Die weitaus meisten 
Fälle von Fieber und Augenentzündung, den beiden 
fast allein vorkommenden Krankheiten, verlaufen 



— 1Ö2 - 

Idcht Und gutartig und andere Krankheiten sind 
sehr selten' 

Alle Einrichtungen jüdischer Gemeinden, Synagoge, 
Mik'wah etc. sind selbstverständlich vorhanden, ebenso 
sind die Schulen im besten Zustande. Es existieren 
eine Knabenschule, eine Mädchenschule und ein Kinder- 
garten und es unterrichten insgesamt 4 Lehrer und 
6 Lehrerinnen. 

Eine besondere Besprechung verdient das Waren- 
depot der Kolonie, der kleine Louvre genannt, wie 
denü die ganze Kolonie im Volksmunde Klein-Paris 
heisst. Wir besuchten dasselbe und waren erstaunt 
über die grosse Zahl der Beamten in demselben, aber 
nicht minder über die Reichhaltigkeit der Waren, die 
in demselben zum Verkauf stehen. Von den einfachsten 
Massenartikeln bis zu Luxusartikeln, die man in 
Palästina und gar auf einem Dorfe in diesem weltent- 
rückten Lande gewiss nicht zu finden erwarten Sollte, 
kann man in diesem Magazin Waren jeder Art er- 
halten. Kostbare Lampen, elegante Möbel, feine Stoffe, 
selbst Schaukelstühle stehen friedlich neben den groben 
Eisengeräten, die auf dem Felde gebraucht werden. 
Von der Reichhaltigkeit der Auswahl ein kleines Bei- 
spiel: Wir wollten etwas hektographieren und suchten 
Plätten dazu zu kaufen; vergeblich bemühten wir uns 
in Jaffa, in Jerusalem, in Haifa, nirgends S\^ar ein 



— 103 — 

Öektograph zu finden, endlich sagte man uns in letzterer 
Stadt: „Wenn irgendwo in Palästina, ist er im Depot 
in Sichron Jaacob zu finden." Richtig fanden wir hier 
Aj)parate in verschiedener Ausfürung und korinten uns 
etwas passendes auswählen. 

Sichron Jaacob liegt zwar nicht auf der direkten 
Route, welche die Touristen, die durch Palästina reisen, 
einzuschlagen pflegen, seit aber die Kolonie einen 
solchen Aufschwung genommen hat, ist die Zahl der 
Rieisenden, die jedes Jahr kommen, um sich mit eigenen 
Aligen die Umwandlung der Juden in Bauern anzu- 
sehen, ständig gestiegen. Ihre Zahl erklärt es, dass 
der doch immerhin kleine Ort drei Gasthäuser auf- 
weist und die Fremdenführer durch Palästina nehmen 
von der aufblühenden Kolonie in jeder neuen Auflage 
sorgfältig Notiz. 

Scheweja ist eine kleine Ansiedelung etwa eine 
Stunde von Sichron, welche von ca. 30 Familien, fast 
durchgehends ehemalige Arbeiter aus dieser Kolonie, 
bewohnt wird. Em el Gamal ist ungefähr ebenso 
gross, auf einem Hügel gelegen und sehr romantisch 
anzusehen. Es zählt zur Zeit 28 Familien, wird aber 
fortgesetzt vergrössert. In Em el Tut lebt nur eine 
kleine Anzahl von jüdischen Ansiedlem, ca. 5 Familien. 
Sehr vielversprechend war die Ansiedelung in Tantura 
am Meer, der alten phönizischen Seestadt Dor oder 



— 104 — 

Nophat Dor, wo der bekannte Protektor eine Glasfabrik 
einrichtete. Leider misslang der Verauch trotz aller 
Bemühungen mid trotzdem die jüdischen Arbeitet sidi 
sehr anstellig zeigten, da es nicht mbglich war, dem 
Glas die gewünschte klare Farbe zu geben. Widir- 
scheinlich taugt der Sand in Tantura nicht für diese 
Fabrikation, Jetzt ist die Fabrik geschlossen, die 
Administration aufgelöst und die einzelnen Arbeiter 
erhalten sehr reichliche Entschädigung, sowie Reisegeld, 
um sich im Ausland Arbeit in diesem Fache zu suchen. 
Der Misserfolg ist um so mehr zu bedauern, als der 
Konsum von Glas in Palästina in Folge der grossen 
Weinkellereien ein bedeutender ist und man viele 
jüdische Arbeiter hätte beschäftigen können. Vielleicht 
entschliesst sich die Administration doch dazu, den 
Versuch noch einmal zu wiederholen. 

XUI. 

Von Sichron Jaacob aus war unser nächstes Reise- 
ziel das Städtchen Haifa, von wo aus wir in das gali- 
läische Gebirge bis nach dem Jordan reisen wollten. 
Unsere Gesellschaft war zahlreicher als bisher, denn 
auch die drei Herren des Waad Hapoel hatten sich 
uns angeschlossen, so dass wir im Ganzen 6 Personen 
waren, wozu noch die Kutscher unserer beiden Wagen 
kamen. 



— lOS — 

Sobald der Weg die Gemarkung von Sichroa ver- 
läset wird er sofort wieder miserabel und man hat ein 
recht scharfes Bild von der Unthätigkeit der Regierung 
und der Eingeborenen, die die schöne Strasse kaum, 
dass sie gebaut ist, sofort wieder verfallen lassen. 
Wie sticht dagegen der Eifer und die Thatkraft der 
jüdischen Kolonien und ihrer Administration abl Der 
Weg geht bergab und zieht sieh durch Felsen, in 
denen, offenbar künstlich angelegt, eine grössere An- 
zahl kleinerer und grösserer Höhlen sich befinden, an- 
scheinend die üeberbleibsel einer Nekroi^le. Dann 
kommen wü' zu einer Menge von Ruinen auf niedrigen, fel> 
sigen Hügeln dicht am Wege, die auf eine ziemlich grosse 
Stadt schliessen lassen, vielleicht das ehemalige Dor, 
die uralte Philisterstadt, kaum eine Viertelstunde von 
dem Dörfchen Tantum und dem Meere entfernt. Audi 
unsere Strasse nähert sich der Koste und läuft eine 
Zeit lang neben derselben, während zur rechten Seit« 
der Karmel die KUstenebene ziemlich einengt. In der 
zehnten Morgenstunde ßlhrt ein grosser Dampfer an 
uns vorbei, ein Lloydschiff, das von Haifa kommend 
nach Jaffa steuert, sonst ist das Meer ruhig und un- 
bewegt und die Brandung eine ganz geringe. Wie gut 
könnten hier Seebäder angelegt wei-den, die gleichzeitig 
das milde EUima Palästinas mit den Wirkungen der 
See vereinigen könnten. Jetzt tauchen vor uns die 



— 106 — 

grauen verwitterten Mauern Atlits auf, jenes alten 
Kastells der Kreuzfahrer, welches diese unter dem 
Namen castellum per^rinorum errichtet und am längsten 
nm allen Besitzungen im heiligen Lande behauptet 
haben» bis sie 1291 auch dies den siegreichen Mameluken 
überlassen raussten. Der Weg umgeht landeinwärts 
die gewaltigen, noch in ihrem Verfall imponierenden. 
Mauern der alten Festung, die auf einem in das Meer 
vorspringenden Hügel lag. Die Mächtigkeit der dicken 
Mauern wird für den Beschauer noch gesteigert durch 
den Kontrast mit den elenden Lehmhütten des Araber- 
dörfchens, das sich in der Kreuzfahrerburg eingenistet 
hat. Sobald Atlit umgangen ist, führt die Strasse durch 
einen engen Pass, in dem ebenfalls Ruinen, aber ganz 
zerfallen, sichtbar sind, zur Küste zurück und bleibt 
Äun bis Haifa fast immer an derselben. Rechts tritt 
das Gebirge etwas zurück und die Küstenebene hat 
eine Breite von 2—3 Kilometern. Allmälig verengt 
sich die Ebene wieder, Berg und See rücken sich näher 
und wir nähern uns bald dem Hügel Teil es Semeh, 
der mit Ruinen bedeckt ist. Die Ebene war jetzt 
schon viel stärker angebaut als weiter südlich und wir 
freuen uns wieder bestellte Gretreidefelder zu sehen. 
Nun biegt die bisher direkt nördlich gehende Küste 
nach Osten um und die Strasse folgt der Küste und läuft 
jetzt direkt am Abhang des Karmel, der dicht an das 



— 107 — 

Meer herantritt. Auf dem schönsten Punkte betimiet 
sich das Kloster der Franziskaner hoch oben auf dem 
Berge, während weiterhin die Grotte des Elias sichtbar 
wird, in der der Prophet lange Zeit gelebt habea 
soll. Der Berg Karmel sieht hier nicht sehr voiteil- 
haft aus, er ist niedrig, ohne Baumwuchs, gelblich grau 
und macht seinem Namen (Waldgebii^e) wenig Ehre; 
Doch ist er landeinwärts besser bewaldet und beherbergt 
erst dort zahlreiches Wild in seinen Schluchten und 
Dickichten. 

Abermals biegt der Weg um, diesmal nach 8Hd- 
Osten und durchquert eine kleine Ebene um in wenigen 
Minuten wieder an das Meer zu gelangen. Voi" uns 
liegt die Bucht von Akka und wir geniesseu den 
wundervollen Anblick nach Herzenslust. Dicht am 
Meere, nur wenige Minuten noch entfernt liegt die 
deutsche Kolonie der Templer, dann folgt das Stiidtclien 
Haifa selbst, während gegenüber das malerische Bild 
der Festung Akka sichtbar wird. Inmitten der Bucht 
das Meer in tiefblauer Farbe, rings herum bald näher, 
bald femer von der Küste, nirgends aber weit entfernt 
grüne Hügel unterbrochen von Felspartieii und Sand- 
flächen und im Hmtergrund die höheren Berge von 
Galiläa. Es ist ein reizendes Bild, das an Natm-sehön- 
heit dgm berühmten Golf von Neapel wenig nachgiebt, 
aber freilich an diesem liegen Neapel nnd so viele 



r-' 



— 108 — 

andere belebte Städte und seine Wogen sind durch- 
furcht von zahllosen Dampfern, Seglern und Bootea, 
während der Golf von Akka tot daliegt, nur wenige 
Fischerboote sich auf den Wellen schaukeln und kaum 
-ein- oder zweimal in der Woche der Pfiff des Dampfers 
die Stille durchbricht. Und Haifa und Akka, wie ver- 
möchten sie Neapel und Portici etc. ersetzen! So bleibt 
die schönste Naturscenerie ungewürdigt, weil ihr das 
belebende Element der menschlichen Thätigkeit heute 
fehlt, während es einst das Meer und die Küsten mit 
geräuschvollem Leben erfüllte. 

Bevor man nach Haifa kommt, durchzieht man 
•die Ansiedelung der Templer, die, obwohl sie fast alle nach 
Palästina als Bauern gekommen, heut zum grössten 
Teil Kaufleute sind. Der beste Teil des Handels in 
dieser aufblühenden Stadt liegt in ihren Händen und 
einige von ihnen sind zu grossem Wohlstande gelangt. 
Der deutsche Vizekonsul hat sich eine Villa hingebaut, 
der sich in dieser Umgebung kein Fürst zu schämen 
brauchte. Die ganze Ansiedelung macht den Eindruck 
behäbigen Wohlstandes, die Strassen sind gut und rein- 
lich gehalten, bei jedem Hause ist ein Garten, die 
Häuser selbst meist zweistöckig und oft fast luxuriös 
gebaut. Die Templer bauten am Abhang des Karmel 
Wein und führten ihn nach Europa aus, wo er viel 
Anklang fand. Allein die Produktion reichte weder in 



— 109 — 

Quantität noch in Qualität aus und die Weinbauer 
kaufen nun in Safed den von den dortigen Juden 
bereiteten Wein, mischen ihn mit dem eigenen Gewächs 
und führen so bedeutend mehr Karmelwein nach Eu- 
ropa aus, als sie produzieren. Einige dieser Deutschen 
machen auch Geldgeschäfte, nur wenige leben noch 
von der Landwirtschaft oder vom Betriebe eines Hand- 
Werkes. In Jaffa und Jerusalem ist es ähnlich und 
wir haben hier die für den Westeuropäer seltsame Er- 
scheinung, dass die Deutschen die Grosskaufleute, di& 
Juden die Kleinkaufleute und Handwerker sind, dass^ 
demnach „die Deutschen", um den Ausdruck des anti- 
semitischen Jargons zu gebrauchen, „es sind, welche 
den Mittelstand, das heisst in diesem Falle d!e Juden 
ausbeuten." So können gelsgentlich die Begriffe der 
„Urgermanen" auch einmal gegen sie gewendet werden. 
Haifa selbst ist ein kleines Städtchen ohne Sehens- 
würdigkeiten, merkwürdig reinlich für den Orient und 
infolgedessen gesund. Es zählt 7800 Einwohner^ 
darunter 810 Juden, 3250 Muhamedaner und '614:0 
Christen. Von unseren Glaubensgenossen sind 650 Sö- 
phardim, 160 Aschkenasim; sie haben drei kleine Syna- 
gogen und eine vierte grössere ist im Bau, Die ÄUi- 
ance unterhält zwei Schulen, eine Knabenschule mit 
drei Klassen und ca. 80 Schülern, eine ilädchenschule 
mii ca. 50 Kindern in zwei Klassen. Wir besuchten 



— 110 — 

beide Schulen und gewannen einen vorzüglichen Ein- 
druck, zumal die Disziplin der Kinder war viel besser, 
als dies sonst im Orient der Fall ist. Besojiders er- 
freulich waren uns die voraüglichen Kenntnisse des 
Hebräischen, welche eine in unserer Gegenwart vor- 
genommene Prüfung offenbarte. Sehr interessant war 
der Besuch der kleinen Weberei, welche Herr Usiel, 
^er Direktor der Knabenschule, aus eigener Iniativ.e 
lur seine Schüler eingerichtet hat. Ein Sephardi aus 
Damaskus erteilt den Unterricht, die Werkzeuge sind 
ganz primitiver Art und müssten europäische ange- 
wendet werden; der Versuch ist aber höchst aner- 
kennenswert, da gerade dieses Handwerk bisher von 
Juden in Palästina nicht betrieben wird. Dasselbe 
verspricht für die Zukunft viel Gutes und sollte auch 
you Aussen her aufgemuntert werden. Leider verlässt 
Herr üsiel die Schule, um die Leitung der ünterrichts- 
anstaljb der Alliance in Damaskus zu übernehmen; aber 
er scheint in Herrn Bachmani, den wir gleichfalls 
kennen lernten, einen würdigen Nachfolger gefunden 
zu haben. 

Haifa ist als Hafen von Galiläa auch fUr die 
judischen Kolonien in dieser Provinz von höchster 
Wichtigkeit und soUte als solcher mehr von uns 
Juden beachtet werden, als dies tbatsäcblleh der 
Fall ist. ! 




— 111 — 

XIV. 

Der folgende Tag liess eine tüchtige Strapaze er- 
i^arten, galt es doch Palästina, speziell Galiläa, von 
Osten nach Westen zu durchqueren UBd von dem Ufer 
der blauen See bis an die grünlichen Fluten des Jordan 
zu gelangen. Nur der erste Teil des Weges ist Fahr- 
weg, während der grösste Teil nur em schmaler Saum*- 
pfad ist, der manchmal recht steil die galiläischen 
Berge hinauf und hinunter führt. Wir brachen dess- 
halb schon in früher Morgenstunde von Haifa auf, wo 
wir in dem vortrefflichen Hotel Kralft, das einem 
Templer, also einem Deutschen gehört, vortrefflich 
logiert hatten und machten in zwei Wagen den ersten 
Teil des Weges ab. Die Strasse führt ziemlich nahe 
am Meere entlang, zuweilen dicht an demselben, ja an 
manchen Stellen muss man direkt durch kleine Ein- 
buchtungen des Meeres, die aber zur Zeit unschwer wl 
übei'schreiten waren. Rechts ziehen sich zunächst die 
Gärten von Haifa noch ein Stück entlang, um daas 
einer ziemlich weiten sandigen £b»e Platz zu macheti, 
deren eintöniges gelbliches Grau nicht allzu häufig mit 
dem Grün kleiner Bafi^ostücke abwechsdit und nur 
durch die grossen Dornensträucher mit ihrra langen 
Stacheln ein wenig belebt wird. Dagegen weisen die 
rechts den Hintergrund bildenden Höhen des Kamel 



— 112 — 

frische grOne Stellen auf den Abhängen und auf den 
Gipfeln ziemlich umfangreiche Bewaldung auf. Eine 
halbe Stunde hinter Haifa kommt man an die Mündung 
eines ziemlich breiten aber flachen Flusses, lieber 
denselben, es ist der Nähr el Mukatta, der Kison der 
Bibel und einer der grössten Flüsse des Landes, führt 
noch keine BrUcke, unsere Wagen müssen hindurch, 
sie biegen jedoch plötzlich links ab und fahren in 
schnellem Trabe direkt in das Meer hinein. Wir 
stutzen: sind die Pferde scheu geworden, oder der 
Kutscher verrückt? Aber unsere Reisegefährten können 
uns aufklären und beruhigen. An einer flachen Stelle, 
wo das Wasser den Pferden kaum bis an den Bauch 
geht, schwenken die Wagen wieder um, erreichen rasch 
das Land und haben so den gefürchteten Kison um- 
gangen, der an seiner Mündung selbst um diese Zeit 
schwer zu passieren ist. Weiter geht der Weg immer 
an der Küste entlang, die hier nach Norden umbiegt, 
rechts hinter uns bleiben die Berge des Karmel zurück 
und die Ebene erweitert sich und wir blicken auf die 
lieblichen Berge Galiläas, deren Umrisse sich deutlich 
am Horizont abheben. Das Land ist gut, aber wenig 
angebaut, und zeigt nur ganz vereinzelt einige Oliven- 
bäume, erst als wir uns der Stadt Acco näherten, sahen 
wir reiche Gärten voll der verschiedensten Frucht- 
bäume, die sich ziemlich weit die Strasse entlang und 



i 



— 113 — 

tiefer in das Land ziehen und deren schöner Zustand 
uns angenehm auffiel. Wir erfuhren, dass hier 
sektirerische Perser ansässig sind, denen die Anlage 
dieser wundervollen Obstgärten zu verdanken ist. Vor 
uns lag Acco, in seiner altertümlichen Bauart an seine 
Geschichte mahnend. Vor uns stiegen die Gestalten 
der Kreuzfahrer auf, die von hier aus so lange den 
Sarazenen trotzten, und immer von neuem in das heilige 
Land einbrachen, bis 1291 Sultan Melik el Aschraf 
von Egypten die starke Feste den Christen für immer 
entriss. Wir überschritten oder vielmehr durchfuhren 
ohne Brücke einen Fluss ähnlich dem Kison, doch er-^ 
schreckte es uns jetzt nicht mehr, als abermals unsere 
Wagen sich in das Meer hinaus wagten, um eine Furt 
zu suchen. Es war der Nähr Naaman, der Belus der 
Alten, jener Fluss, auf dessen Ufer der Sage nach der 
phönizische Seefahrer das Glas erfand. Von diesem 
Uebergang ab verlässt die Strasse nach dem Jordan 
die Küste, um sich ostwärts zu wenden, und wir 
mussten mit Bedauern darauf verzichten Acco, dessen 
Aeusseres einen solchen Reiz auf uns ausübte, näher 
kennen zu lernen. Man tröstete uns freilich mit der 
Versicherung, dass Acco, die moderne Stadt, denn von 
der alten resp. mittelalterlichen Festung ist wenig mehr 
übrig, ein verfallendes Nest sei, dem man wenig Inter- 
esse abgewinnen könne. Glaubensgenossen wohnen 

8 



— 114 — 

dort zur Zeit nur 215, da sich der Handel ganz nach 
dem aufblühenden Haifa gezogen hat, das einen besseren 
Hafen besitzt. 

Von der Küste an führt der Fahrweg ziemlich 
direkt ostwärts in die Vorberge des galiläischen Ge- 
birgslandes hinein. Noch ist die Strasse IV» Stunden 
lang fahrbar, aber sie wird immer schlechter und sobald, 
man in das eigentliche Gebirge kommt, ist sie ganz 
zu Ende. Nun heisst es hinaus aus dem schönen be- 
quemen Wagen und hmauf auf die Pferde. Das Ende 
der Strasse bezeichnet ein grosser alleinstehender Baum, 
eine Platane, wonach man diese Stelle „Station Baum* 
genannt hat. Unter diesem Namen wird die Station 
von jedem Pferdeverleiher im Lande und jedem Mukari, 
das ist Maultiertreiber, gekannt. Wir waren bei unserer 
Ankunft zunächst gezwungen unter dem Baume vor 
einem heftigen Regenguss Schutz zu suchen und abzu- 
warten, bis der kurze aber ausgiebige Guss vorbei 
war. Es war der erste Regen, den wir im heiligen 
Lande hatten, und er gab uns sofort ein Vorspiel von 
dem, was derselbe in Palästina bedeutet. Das trübe 
Wetter, auch nachdem der Guss vorbei war, kündigte 
uns für den Rest des Tages noch einige ähnliche 
Schauer an und wir hüllten uns nach Möglichkeit 
in unsere Mäntel ein und bewaffneten uns mit 
Schirmen. Wir sollten indessen bald erfahren, 



— 115 — 

yfie nutzlos alle diese Vorsichtsmassregeln sind. 
Zunächst ging es an die Organisation der Karawane, 
ivobei für uns beide Berliner, die, Dr. Löwe fast 
noch nie, ich selbst Oberhaupt noch nie auf dem Rücken 
eines Pferdes gesessen hatten, die sanftesten Tiere 
ausgesucht wurden. Glücklicher Weise sind die ara- 
biscÄea Pferde sehr gut dressiert und auch fdr. unge- 
übte Reiter ohne Mühe zu besteigen und zu leiten, 
dennoch ist es natürlich nicht leicht so völlig ungeübte 
Reiter erst einmal zu festem Sitz zu bringen. Endlich 
i^ar auch dies überstanden und die Karawane begann 
ihren Marsch. Unsere Kavalkade bestand aus sechs 
JReisenden, nämlich den drei Herren des Waad Hapoel 
in Jaffa: Dr. Joffe, Agronom Kaisermann und Schrift- 
steller Eisenstadt, dann Herr Agronom Margulies 
Kalvarisky und wir beide Berliner. Ausserdem waren 
"bei dem Zuge noch 2 Chajale und 2 Maultiertreiber, 
«owie der arabische Pferdevermieter, der neben seinen 
Tieren herlief. Die beiden Maultiere waren natürlich 
für das Grepäck, die beiden Chajale sind bewaffnete 
Begleiter, die gleichzeitig Führer und Beschützer sind. 
Gewöhnlich nimmt man dazu Araber, aber in neuerer 
Zeit giebt es eine ganze Menge von Juden, die dasselbe 
Sandwerk treiben und die sich eines ausgezeichneten 
Rufes als Chajal erfreuen. Sie wissen sehr genau 
Bescheid, kennen Weg und Steg, verstehen im Notfall 

8* 



— 116 — 

ihre Waffen sehr gut zu gebrauchen und gewähren dem 
Reisenden ebenso sicheren Schutz, als dies irgend einer 
der Beduinen kann. Auch unseren Zug begleiteten 
zwei solcher jüdischen Chajale, von denen der eine^ 
JOdel aus Sichron Jaacob, ein junger Bursch von noch 
nicht zwanzig Jahren, eine besonders anziehende Figur 
macht. 

Endlich beginnt der Marsch, anfangs im langsamsten? 
Tempo mit Rücksicht auf uns ungeübte Reiter, die 
erst sicher werden sollten auf den zahmen Pferden,. 
Allmählich ging es dann schneller und schliesslich gaben, 
uns einige der Reisegefährten, Dr. Joffe, Margules, und 
Jüdel ihre Reiterkunststücke zum Besten. Dr. Löwe*» 
Pferd, von edlem Wetteifer durchdrungen, fing auch an 
zu galoppieren, aber der Reiter wollte nicht mit, er 
zog vor sich an einer Stelle, wo der Boden recht weicL 
war, auszuruhen, mit andern W^orten, er fiel vom Pferde- 
und dieses ging durch. Nachdem es von Jüdel wieder 
eingefangen war, wurden die Herren vorsichtiger, Dr- 
Löwe bekam ein sanfteres Tier und der Ritt ging imi 
langsameren Tempo weiter. 

Das Land, durch das unser Weg führt, ist ein* 
Gebirgsterrain, langgestreckte Höhenzüge, welche voa 
ziemlich breiten Thälem durchschnitten werden. Alles- 
prangt in saftigem Grün, allerdings ist nur sehr wenig 
Wa;ld vorhanden und nur selten trifft das Auge plan- 



— 117 — 

massig angebaute Fluren; aber der Boden ist auf dem 
ganzen Gebiete vorzüglich, in den Thälem, wie unsere 
Agronomen erklärten, für Getreide erster Qualität, auf 
den Bergen zu Anpflanzungen von Wein, Palmen, 
Maulbeer- und besonders Olivenbäumen ausserordentlich 
geeignet. Selbst der Teil der Berge, der uns steinig 
erschien, hatte zwischen den Steinen noch immer so 
viel fmchtbare Bodenkrume, dass Oliven gut fortkommen. 
Die Umgebung der arabischen Dörfer, welche nicht 
mit Rücksicht auf den Boden und seine Fruchtbarkeit, 
«ondem, um ganz modern zu reden, nach strategischen 
Gesichtspunkten angelegt sind, d. h. an Stellen, wo sie 
am leichtesten verteidigt werden können, beweist dies 
ebenso, wie die jüdischen Kolonisten, die den steinigen 
Boden vorzüglich nutzbar zu machen wissen. Auch 
jetzt deckt die nicht angebauten Fluren bis zu den 
öipfeln der Berge hinauf grünes Unkraut, dass eine 
erstaunliche Höhe erreicht und in den Ebenen häufig 
-SO hoch emporschiesst, dass der Reiter auf dem Pferde 
völlig darin verschwindet. Wer im Süden Palästina's 
noch vielleicht an der Fruchtbarkeit des heiligen Landes 
zweifeln konnte, muss, wenn er den Norden, Galiläa 
kennen lernt, den letzten Rest seiner Skepsis aufgeben. 
N^ordpalästina kann sich in Bezug auf seine Frucht- 
barkeit mit jedem Lande der Welt messen, umsomehr, 
da es reichlich Quellen und Brunnen besitzt. Land^ 



— 118 — 

scbaftlicb ist diese Gegend grossartig; die grünen 
fiergo erbeben sieb an beiden Seiten des Thaies zu 
imposanter HObe, und häufig öffnen sich Blicke in 
reizende Nebenthäler. Steigt unser Weg in die Höhe 
auf den Gipfel eines der Berge, so bietet sich eine 
entzückende Fernsicht, auf das mittelländische Meer, 
auf die Berge von Galiläa ringsum, nach Südosten hin 
das Meer von Tiberias und fernhin im Nordosten der 
gewaltige Gipfel des Hermon, mit seiner Schneekuppe 
in die Wolken reichend. Und dazu das erhebende 
Bewusstsein, auf einem Boden zu stehen, welcher den 
Schauplatz der gewaltigsten Ereignisse unserer Ge- 
schichte gebildet hat. AUerdhigs beschleicht auch ein 
Gefühl der Wehmut unser Herz, wenn sich uns die 
Wahrnehmung aufdrängt, dass dieses blühende Land, 
in dessen 15000 Orten, von denen Josephus erzählt, 
einst reges Leben pulsierte, jene reiche Kulturblüte, 
von der noch heute zahllose Ruinen, gewaltige Mauern, 
welche zur Terrassenkultur dienten, so beredt erzählen, 
heute fast menschenöde ist und seine einstige Fruchtbar- 
keit nur in wild wachsendem Gras und Unkraut erweist- 
Man reitet weite Strecken, ohne einem Dorfe, ja auch 
nur einem Menschen zu begegnen; eintönige Stille 
liegt über den entzückenden, gesegneten Fluren — 
wie ganz anders, wären es noch die Hände der Juden, 
welche sie bebauten! Ich muss darauf verzichten, die 



— 119 — 

Gefühle zu schildern, die mich und ich darf sagen, uns 
alle bewegten ; wenn ich mir je die Gabe des Dichters 
wünschte, so geschah es angesichts Jerusalems und 
in Galiläa. Nur ein gottbegnadeter Dichter kann die 
Empfindungen und Gedanken wiedergeben, welche diese 
Stätten in jeden denkenden und fühlenden Menschen 

und nun gar erst im Juden erwecken müssen I 

Nach zweistündigem langsamen Eeiten hielten wir 
in dem Chan von Mesched el-Kerum, einem grossen 
arabischen Dorfe, dem ersten seit Acco, Rast, zur Er- 
holung und zum Einnehmen des Mittagessens. Hier 
trafen wir zwei Herren der Administration, Herrn 
Wormser, Unter-Administrator von Rosch Pinah, der 
zu seiner Hochzeit nach Sichron Jaacob reiste, und 
den Gärtner von Ain Setün, Herrn Gold. Es ent- 
wickelte sich nun ein fröhUches Treiben; beide Gesell- 
schaften packten aus, was sie an Speisen mitgebracht 
hatten, ein Picknick war bald im Gange, und wir be- 
dauerten es lebhaft, schon nach einer Stunde uns wieder 
trennen zu müssen. Diesmal sollte der Ritt nicht mehr 
so angenehm bleiben. Wir mussten, um die verlorene 
Zeit wieder einzubringen, schneller reiten, was uns 
recht schwer fiel, und, um die Annehmlichkeit voll zu 
machen, gmg ein lange drohender Gewitterregen nieder. 
Dieser Regen war, obwohl Frühregen, von solcher 
Heftigkeit, wie bei uns nur die Wolkenbrüche, während 



— 120 — 

dio Einheimischen versicherten, in Palästina seien in 
der Regenzeit solche Güsse sehr häufig. Nachdem das 
Unwetter eine Stunde gedauert hatte, waren wir total 
durchnässt und in einer Verfassung:, die sich schwer 
beschreiben lässt, wenn man noch ästhetisch bleiben 
will; diesmal gilt der Ausdruck „bis auf die Haut durch- 
nässt" buchstäblich. Indessen gab es weit und breit 
kein Obdach, wir mussten voran, und weiter ging es 
an dem arabischen Dorfe Er Räme vorbei, welches 
malerisch auf einen Hügel liegt, dann, nach kurzer 
Rast an einer schönen klaren Quelle Ain Ferudh, in 
die Berge von Safed hinein. Die arabischen Pferde 
sind tüchtige Kletterer, aber auf diesem Pfade gewannen 
sie uns bewundernde Achtung ab; sie gehen an Stellen, 
wo der Mensch kaum noch einen Halt findet, mit einer 
Sicherheit, als wären sie verkleidete Gemsen, und gar 
sehr unähnlich ihren Vettern im Abendland steigen sie 
sogar mit grosser Gewandheit schlüpfrige Steintreppen 
bergauf und bergab. Nicht ein einziges unserer Pferde 
stürzte bei dem gefährlichen Ritt, trotzdem der Regen 
den Weg aufgeweicht und andererseits die Steine glatt 
gemacht hatte. 

Um 7 Uhr gelangten wir endlich nach Ain-Setün 
und beschlossen, da wir wie unsere Pferde völlig er- 
müdet waren, hier zu übernachten und erst am anderen 
Morgen den Ritt nach Rosch Pinah, das noch iVt Stunde 



— 121 — 

weiter liegt, fortzuseteen. Die Kolonie Ain-Setün ge- 
hört der Genossenschaft Dorsche Zion in Minsk, wurde 
aber im vorigen Jahre der Administration übergeben. 
In derselben befinden sich jetzt nur 3 Häuser, und es 
leben hier zur Zeit nur der Gärtner Herr Gold und 
etwa 20 jüdische Arbeiter, sowie eine Anzahl Araber» 
Der Verwalter, Herr Schub wohnt in. dem nur eine 
halbe Stunde entfernten Safed. Die früheren grossen 
Anpflanzungen haben sich zum Teil als unbrauchbar 
erwiesen und müssen erneuert werden, doch sind immer- 
hin noch 200000 Reben in gutem Zustande. Die Unter- 
bringung so vieler Personen machte in Ain-Setün nicht 
unerhebliche Schwierigkeiten, um so grössere, da der 
einzige dort wohnende Beamte, Herr Gold, verreist und 
«ein Haus von Herrn Pascal, dem Obergärtner von 
Bosch Pinah, der einige Stunden vor uns angekommen war, 
mit Beschlag belegt war. Indessen wurde Herr Schub 
;aus Safed geholt und die Sache, so gut es ging, ein- 
;gerichtet. Wir schliefen zu viert in einem Zimmer, 
der eine auf dem Tisch, der andere auf fünf nebenein- 
ander gestellten Stühlen, der dritte auf einem Brett, 
•das man über zwei Böcke gelegt hatte; nur ich genoss 
den unverdienten Vorzug, in das einzig vorhandene Bett 
zu kommen. Die Anstrengungen des Tages waren aber 
fio grosse gewesen, dass wir alle, trotz der merkwürdigen 
Uuhestätten, uns eines kräftigen Schlafes erfreuten. 



— 122 — 

XV. 

Xeugestärkt brachen wir am folgenden Morgea 
nach Rosch Pinah auf, wo wir nach eineinhalbstUndigem, 
genussreichem Ritt über den Dschebel Safäd, das Ge- 
birge Naphtali der Bibel, anlangten und angenehm 
überrascht waren, zu finden, dass Herr Ossowetzky^ 
der energische, thatkräftige Administrator dieser und 
der umliegenden Kolonien, in liebenswürdiger Weis& 
für unsere Aufnahme gesorgt hatte. Wir restaurierten 
uns und benutzten dann die drei nächsten Tage, um 
die Kolonien zu besichtigen. Besonders nahm Mischmar 
Hajarden, das Schmerzenskind der Chawawe Zion unsere 
Aufmerksamkeit in Anspruch, und während wir bei 
Tage unter Assistenz des Herrn Pascal die jüdischen 
Dörfer besichtigten, waren die Abende lang andauernden 
Konferenzen gewidmet, um einen Plan ausfindig zu 
machen, wie den Insassen dieser Kolonie gründlich und 
doch mit möglichst geringen Kosten zu helfen wäre^ 

Mischmar Hajarden liegt, wie schon der Name 
besagt, dicht am Jordan, an der Stelle, wo eme viel 
begangene Karawanenstrasse über die Brücke Dschisr 
benät Jaküb, durch das Hochland von Dscholän und 
Haurän nach Damaskus führt. Die Lage hat viele 
Vorteile, aber auch viele Nachteile; das Areal am 
Jordan hat Wasser genug, während das höher gelegene^ 



— 123 — 

«iieses notwendigsten aller Kulturcrfordernisse entbehrte 
Der Jordan strömt in einer tiefen Schlucht und das 
allmählich ca. 70 Meter ansteigende höhere Terraini 
hat merkwürdiger Weise keinen Brunnen, ja selbst bis 
22 Meter tief geführte Bohrungen ergaben kein Wasser. 
So wird nichts anderes übrig bleiben, als mit einem 
Hebeapparat das Wasser aus dem Jordan oder einend 
dicht bei ihm gelegenen Brunnen diese 70 Meter zu 
heben ; denn der jetzige Zustand, bei dem die Kolonisten», 
das Wasser hinauftragen müssen, ist auf die Dauer 
unhaltbar. Auch das Klima lässt zu wünschen übrig, 
doch haben die ziemlich häufigen Erkrankungen in- 
Mischmar unzweifelhaft zu einem guten Teil ihre Ur- 
sache in der schlechten Nahrung und zum Teil in den; 
noch schlechteren Wohnungen. Die Kolonie wurde im 
Jahre 1890 durch Herrn Schub gegründet, der seiner- 
zeit (i. J. 1882) auch Eosch Pinah für die rumänische 
Genossenschaft angekauft hatte. Er erwarb das TerraiiL 
von einem Herrn Lubowsky, Kolonisten in Jessud 
Hamaalob, auf Abzahlungen und scbloss mit demselben 
einen Kontrakt, welcher für den Verkäufer sehr günstig, 
für den Käufer und mithin für die Kolonisten aber 
sehr ungeschickt abgefasst war und dalipi* für diese 
eine Quelle von Leiden und Sorgen wurde. Die ver- 
einbarten Abzahlungen konnten nicht innegehall 
werden, der Buchstabe des Kontraktes liesagt nun, 




— 124 — 

alle bisherigen Zahlungen verfallen sind und das Terrain 
mit allen inzwischen gemachten Bauten, Anlagen etc. 
-an Lubowsky zurückgeht. Der Buchstabe giebt diesem 
4as juridische Recht, sofortige Zahlung des ganzen 
Betrages zu fordern, widrigenfalls er das gesamte Land, 
welches durch die Bearbeitung und die Häuser, die 
inzwischen auf demselben erbaut sind, natürUch an Wert 
gewonnen hat, dritten Personen, eventuell Arabern, 
verkaufen könne. Man wird dieses Vorgehen moralisch 
vielleicht verwerfen, der Wortlaut des Kontraktes giebt 
dem Manne aber leider das Recht dazu. Die Kolo- 
nisten, welche einzeln das Land von Herrn Schub er- 
warben, waren zum Teil ganz ohne eigene Mittel, zum 
'Teil besassen sie nicht vollständig die nötigen Summen ; 
die Gelder, welche der „Esra" und das Odessaer 
Komitee den Ansiedlern zukommen Hessen, gingen 
-tropfenweise ein und halfen immer nur der dringendsten 
isTot ab, und so kam es, dass die Kolonisten, nachdem 
in die Weingärten und besonders in den Bau von 
dreizehn Stein-Häusern ein erhebliches Kapital investirt 
ivar, nichts mehr zum Leben hatten. Sie mussten da- 
ier, um sich und ihre Familien erhalten zu können, 
in den Nachbarkolonien Rosch Pinah und Jessud 
Hamaaloh auf Tagelohn arbeiten. Dabei war es nur 
Wenigen möglich, ihre Pflanzungen in Ordnung zu 
Jialten, und so ergab die genaue Untersuchung, welche 



— 125 — 

jetzt unsere Agronomen vornahmen, dass von 15*!2Hectary 
die seinerzeit angepflanzt waren, nur 7 noch brauchbar 
sind. Auch die bei jedem Hause ursprünglich ange- 
legten Gemüsegärten sind zum Teil verwildert und 
müssen neu in Ordnung gebracht werden. Ausser deiv 
dreizehn Steinhäusern sind noch einige Rohrhütten vor* 
banden, auch die Ställe bestehen aus Wänden, die von 
Rohr und Oleanderholz geflochten sind und mit Kalk 
beworfen werden, und sind mit alten Petroleumblecheni 
etc. gedeckt. Die Kolonie hat nicht unbedeutenden 
Viehstand; im Durchschnitt besitzt jeder Kolonist 
2—3 Kühe und ein oder zwei Kälber, manche auch 
Esel. Es war noch erheblich mehr Vieh vorhanden^^ 
aber bei der Rinderpest, welche im Frühjahr hier wie 
in ganz Palästma herrschte, gingen die so schlecht 
eingestallten Tiere in Mischmar zur Hälfte zu GrundCr 
Auf Kosten der Chawawe Zion wird eine kleine Apo- 
l.heke und em Feldscheer erhalten, auch ein Schochet 
ist angestellt, und ein Kolonist hält für die Kinder ei» 
„Cheder." Im Ganzen leben in der Kolonie 23 Fa-^ 
milien mit ca. 100 Seelen. Man muss anerkennen, dasSr 
die Leute viel Ausdauer und Arbeitseifer gezeigt haben, 
genügsam sind und von dem Arbeitslohn leben, den zu 
verdienen sie 1 bis 2 Stunden weit gehen müssen. 
Derselbe beträgt durchschnittlich 1 — 1,20 Mk. pro Tag, 
was für . die bescheidenen. Bedürfnisse der Ansiedler 



_ 126 — 

Tiel bedeutet, da sie eme kteine Hülfe aus dem Ertrage 
Ton Milch, Eiern etc. haben. Das Terrain betrug ur- 
-sprthiglich ca. 3000 Dunam, durch einen I^ros^ess mit 
.arabischen Nachbarn ging aber ein Stück von etwa 
800 Dunam verloren; die Vermessung war zuerst auch 
:fiicht genau, so dass der jetzige Besitz eine Ausdehnung 
von 2531 Dunam = 230 Hectar hat. Für die gegen- 
wärtigen Ansiedler ist das Terrain nicht gross genug, 
fmd man wird bald daran zu denken haben, später noch 
Land zuzukaufen, was um so leichter ist, als der Nach- 
ibar von zwei Seiten jetzt der bekannte Protector ist. 

Der von uns Allen ausgearbeitete Plan, welcher 
«eine Hauptschwierigkeit in der Ordnung der ver- 
^wickelten Besitzverhältnisse hatte, gipfelt, ohne in 
Details einzugehen, darin, dass erstens die noch fehlenden 
Häuser erbaut werden müssen, ferner ca. 2 Hektar 
Maulbeer-Pflanzungen pro Familie zur Seidenzucht an- 
gelegt, dann die Gemüsegärten und der noch braueh- 
j33are Teil der Weingärten neu hergerichtet und der 
Rest des Landes zum eigentlichen Ackerbau urbar 
,:gemacht werden soll. 500 Dunam Landes, welche 
zum Getreidebau untaugUch sind, sollen allmählich für 
Olivenpflanzungeu beuuzt werden; endlich wird am 
Jordan selbst ein Obstbaumgarten anzulegen und, um 
4as Klima zu verbessern, im Dorfe Eucalyptus anzu- 
3)flanzen sein. Diese unabweisliche Reorganisation wird 




M«ie«ifltjj jBjfi 



^'Mi 



— 127 — 

grosse Summen erfordern, aber es lässt sich hoffen, 
dass, wenn die Mittel zu derselben ausreichend vorhanden 
sind, die Kolonisten dauernd sichergestellt sein werden. 
Ich zweifle nicht daran, dass die Chawawe Zion aller 
Länder, besonders die Vereine, dem demnächst für 
Mischmar Hajarden an sie ergehenden Aufrufe gern 
Polge leisten werden. 

XVI. 

« 

Rosch Pinah ist eine der ältesten Kolonien; sie 
wurde bereits 1882 gegründet und auch frühzeitig vom 
Protektor übernommen. Dieser Thatsache ist das Ge- 
deihen der Kolonie in erster Linie zuzuschreiben, aber 
auch dem Eifer der Kolonisten selbst, welche wirkliche 
Bauern sind. Das Dorf hat ein Terrain von ca. 
7000 Dunam = 640 Hektar und zählt emschliesslich 
der Beamten, Arbeiter etc. 80 Familien mit ca. 500 
Seelen. Es sind grosse Weinberge angelegt, nahezu 
100 Hektar, sodass jeder Kolonist 2 Hektar besitzt, 
deren Trauben von einer den Malaga-Beeren ähnlichen 
Sorte sich gleichmässig zur Herstellung von Bosinen 
wie von süssem Wein eignen. Femer ist eine grosse 
Anlage von Maulbeerbäumen vorhanden, ca. 80000 Stück, 
welche für die Seidenzucht benutzt werden, dann 
Mandel- und andere Fruchtbäume. Auch die zur Ver- 
besserung des Klimas nützlichen Eucalypten sind nicht 



- 128 — 

vergessen und alle Felder und Pflanzungen mit Mimosen- 
hecken umgeben, deren sehr fein duftende BiUten zur 
Essenzenfabrikation nach Jessud Hamaaloh überführt 
werden. Die Kolonisten besitzen durchwegs steinerne 
Häuser, im Ganzen einige 60, welche sämtlich mit 
Ställen versehen smd, denn die Viehzucht ist nicht un- 
bedeutend, und mit Stolz weisen die Kolonisten auf die 
selbstgezUchteten Tiere, Pferde, Esel, Rinder etc., hin. 
Vor jedem Hause ist em Blumengarten angelegt worden, 
den freilich manche Kolonisten haben verfallen lassen; 
dafür aber halten sie den hinter dem Hause belegenen 
Gemüse- und Obstgarten um so besser in Ordnung^ 
Em kleiner Dorfpark mit schattigen Bäumen ist in 
prächtiger Entwickelung. Das Klima ist sehr gesund,. 
Erkrankungen sind ausser ganz leichten Fieberfällen 
äusserst selten, und der Arzt der Kolonie versicherte 
mir, dass auf dem Friedhofe, der höchst malerisch eine 
Viertelstunde vom Dorfe auf der halben Höhe eines 
benachbarten Berges gelegen ist, nur ganz alte Leute 
und ganz junge Kinder begraben sind. Das Wasser, 
Welches in einer Leitung aus einer benachbarten kräftigen 
Quelle herbeigeführt wird, ist selbst in der trockenen 
Jahreszeit im Ueberfluss vorhanden und von vorzüg- 
licher Qualität. Selbstverständlich sind sämmtliche An- 
stalten einer jüdischen Gemeinde vorhanden und in 
bestem Zustande; Arzt, Apotheker, Feldscheer und 6ine 



— 129 — 

gute Badeanstalt sorgen für die leibliche Gesundheit 
der Kolonisten, während eine Schule mit mehreren 
Lehrern und einer Lehrerin für das geistige Wohl 
sorgt. Dass ein Schochet angestellt ist, braucht nicht 
erst erwähnt zu werden, aber auch ein Eabbiner ist 
im Dorfe und die Synagoge, obgleich ganz einfach, ist 
eine würdige Andachtsstätte. Dieselbe hat einen be- 
sonderen, sehr sinnigen Schmuck in der Malerei der 
Decke, welche in blauen und weissen Farben ein Bild 
des Himmelsgewölbes darstellt. 

Die Kolonie ist der Mittelpunkt der Seiden-Industrie, 
welche in den jüdischen Dörfern in erfreulicher Ent- 
wickeluhg gedeiht. Hier ist zunächst eine Seidenfilir- 
anstalt angelegt, wo die Kokons zu Rohseide verarbeitet 
werden. Der Betrieb erfolgt mit Dampfkraft, wozu 
eine Maschine von 4 und ein starker Kessel von 
20 Pferdekräften vorhanden sind. Als Arbeiter werden 
junge Leute aus Safed benutzt, von denen ständig ca. 
50 beschäftigt sind. Es ist nicht leicht, diese so regel- 
mässiger Arbeit ungewohnten Elemente dazu zu er- 
ziehen, doch ist ein Stamm bereits herangebildet, und 
das Etablissement macht Dank den unablässigen Be- 
mühungen seines Direktors Rosen kräftige Fortschritte. 
Bei vollem Betrieb werden 35000 Kilo Kokons kon- 
sumiert, während bisher alle jüdischen Dörfer zu- 
sammen nur 900 Kilo pro Jahr produzieren, die Seiden- 

9 



— 130 — 

zucht also noch grosser Ausdehnung fähig ist. Später 
soll eine Zwirnerei und Färberei angelegt werden und 
dann die Seidenweberei als Hausindustrie in Safedund 
den Kolonien eingerichtet werden; doch müssen noch 
einige Jahre vergehen, bis dies möglich sein wird. 

Die Lage von Bosch Pinah ist sehr schön; vom 
Marktplatze und den Häusern der Verwaltung aus 
Übersieht man die ganze Jordanebene zwischen dem 
Hulehsee und dem See von Tiberias, das erste Wasser- 
becken ganz, das letztere zum Teil. Auf der West- 
seite triflFt der Blick die Berge von Safed mit ihren 
romantischen Felsgebilden, nach Osten und Norden das 
Hochland von Dscholän, dahinter den gewaltigen Hermon 
und weiter nördlich die weissschimmemden Kuppen des 
Libanon. Das Dorf selbst, welches am Abhänge des 
Berges Geoni liegt, macht mit seinen fast nur ein- 
stöckigen Häusern einen sehr günstigen, durchaus 
ländlichen Eindruck; sehr sauber und freundlich ge- 
halten, darf es eine Perle der bisherigen Kolonisation 
genannt werden. Es herrscht hier, wie in. der ganzen 
Gegend, was besonders hervorgehoben zu werden ver- 
dient, ein frischer, lebendiger, thatkräftiger Geist unter 
den Kolonisten sowohl, als auch bei der Verwaltung, 
welche sich übrigens in bester Harmonie befinden. 
Die Tage unseres Aufenthalts in Bosch Pinah zählten 
deshalb zu den erfreulichsten unserer ganzen Beise, 



— 131 — 

zumal Herr Ossawetzky uns eine ganz ausserordentliche 
liebenswlirdigo Gastfreundschaft erwies. 

XVIl. 

Jessud Hamaaloh liegt ziemlich tief an dem nied- 
■rigen Ufer des Hulehsees, der bekanntlich nur 2 Meter 
ober dem Meeresspiegel belegen ist. Es ist ein reizender 
Platz mit vorzüglichem Boden, dessen Produktionsfähig- 
ieit die Schöpfer der kleinen Kolonie, welche sich im 
Jahre 1883 hier niederliessen, es danken, dass sie un- 
glaublichen Schwierigkeiten zum Trotz sich behaupten 
ionnten. Seit 1887 besserte sich ihre Lage allmählich; 
«ie erhielten vom Komitee in Odessa und vom Verein 
^Esra" Geldunterstützung, dann Summen zum Viehkauf 
und schliesslich zum Bau einiger Häuser. Im Jahre 
1890 nahm der hochherzige Protektor auch diese Kolonie 
•unter seinen Schutz. Die Ansiedler gaben den bisher 
betriebenen Ackerbau auf, um riesige Gartenanlagen für 
■die Erzeugung von Blumen zu schaffen, welche zur 
Fabrikation ätherischer Oele, Essenzen, Parfüme etc. 
verwendet werden sollen. Es werden gebaut Rosen, 
Mimosen, Tuberosen, Jasmin, Geranium, wilde Orangen, 
Aprikosen etc.; eine ausgedehnte Baumschule versieht 
Aie ganzen Kolonien von Ober-Galiläa mit Schösslingen 
«der verschiedensten Baumarten. Die ganze grossartige 
Anlage wird durch künstliche Bewässerung betiieben, 

9* 



— 132 — 

wozu das Wasser aus dem Hulehsee auf die ver- 
schiedeBste Art, durch Wind-, Dampf-, Pferde- und 
Wasserkraft, gewomien wird. Die Blamen werden in 
einer eigens dazu errichteten Fabrik verarbeitet und 
zwar zunächst nur zu Essenzen resp. Pomaden, welch» 
nach Europa exportiert werden. In der kommenden 
Saison werden auch vollständige ParfQme hergestellt 
werden, nachdem bereits jetzt gelungene Versuche mit 
Eau de Cologne gemacht wurden. Die Kolonie um-*^ 
fasst 4000 Dunam = 360 Hektar und beherbergt 30 
Familien mit 140 Seelen. Die Kolonisten haben ausser 
den grossen Gartenanlagen und der Baumschule noch 
Maulbeerplantagen, treiben etwas Viehzucht, sowie 
Fischfang im Hulehsee und besitzen ein kleines Boot, 
das auf dem See verkehrt. Für alle Gemeindebedürf- 
nisse, für Unterricht, Apotheke etc. ist ausreichend 
gesorgt, wie die Kolonie überhaupt den Eindruck eine» 
kleinen, aber gut gedeihenden Dorfes macht. In den 
grossen Anlagen arbeiten viele Leute aus Mischmar 
Hajarden als Tagelöhner. 

XVIII. 

Das weitere Ziel unserer Reise sollte eigentlich 
der Haurän und Damaskus bilden, aber aus ver- 
schiedenen Gründen, deren Auseinandersetzung hier zu 
weit führen dürfte, unter denen indessen Mangel an 



— 133 — 

Zeit die Hauptrolle spielte, mussten wir von diesem 
Plane abstehen, zumal uns die Nachricht erreichte, 
dass in Damaskus Cholera sei und in Folge dessen 
•Quarantäne eingerichtet werden würde. Wir begnügten 
uns daher, über die Brücke Dschisr benät Jaküb den 
Jordan zu überschreiten, um auch im Ostjordan- 
lande gewesen zu sein, und dachten dann an die 
Eückreise. Wir wählten die Route Tiberias, Nazareth, 
Haifa, zuvor aber wollten wir uns doch Safed 
ansehen. Wir machten uns dahin zu Fuss auf, einen 
näheren, aber sehr steilen Weg über die Berge ein- 
schlagend, der nur eine Stunde in Anspruch nahm, 
während man sonst die Entfernung zwischen Safed und 
Rosch Pinah auf iVa Stunde bemisst. 

Safed, eine frühere Festung, besitzt noch heute 
eine Citadelle, welche aber keine Bedeutung mehr hat, 
und ausserhalb derselben vier Quartiere, das der 
Muhammedaner, der Christen, der Sephardim und der 
Aschkenasim. Diese Quartiere sind völlig getrennt, 
wie verschiedene Orte, und so kommt es, dass uns, die 
wir, wie fast alle jüdischen Besucher, zunächst das 
Juden viertel betraten, Safed eine ausschliesslich jüdische 
Stadt zu sein schien. In Wirklichkeit leben daselbst 
12 820 Seelen, von denen 5100 Muhammedaner, 1100 
Christen, 4500 Aschkenasim und 2120 Sephardim, also 
etwa 52 pCt. Juden sind, welche indessen den ganzen 



— 134 — 

Handel der Stadt und zum grossen Teil der Landschaft 
monopolisiert haben. Auf dem Bazar herrscht eio 
reges Leben und Treiben, das der Grösse des Ortes- 
nicht nur entspricht, sondern eigentlich über seine Ver- 
hältnisse hinausgeht. Leider ist das Judenquartier, 
wenn auch reinliclier als das arabische, doch immer 
noch sehr schmutzig und vor Allem sehr eng. Die 
Strassen sind sehr schmal, die Höfe auf das äusserste- 
beschränkt und in den niedrigen Häusern, die teils aus- 
Stein, teils nur aus Lehm gebaut sind, wohnen die 
Leute zusammengedrängt bei einander in ganz fürchter- 
licher Enge. Es kann deshalb nicht Wunder nehmen,, 
wenn trotz des überaus gesunden Klimas, dessen sich 
Safed erfreut, unter derartigen Wohnungsverhältnissen, 
welche durch die grosse Armut noch verschlimmert 
werden, Krankheiten ständige Gäste sind und der Ein- 
druck der Stadt ein durchaus ungünstiger ist, was aber 
nicht hindert, dass der Zuzug von Juden fortwährend 
steigt. 

Von den beiden jüdischen Schulen der Stadt lässt 
nach allgemeinem Urteil die Knabenschule, welche ein» 
Herr Levy leitet, sehr viel zu wünschen übrig, während 
die von Dr. Blidden gegründete Mädchenschule, dank 
ihrem ausgezeichneten Direktor, Herrn Epstein, vor- 
züglich ist. Letzteres können wir aus eigenem Augen- 
schein bestätigen; die Schülerinnen wiesen bei einer 



— 135 — 

Pi-üfung ganz ausgezeichnete KeuntDisse im Hebräischen, 
Französischen, Arabischen und im Reclinen auf, und 
■wir mussten der Unterrichtsmethode des Direlitors 
Epstein alle Anerkennung zollen. Nur die Räume, in 
denen die Schule uutergehi-acht ist, welche in 3 Klassen 
ca. lOO ZOglioge zählt, sind jammervolle und sprechen 
jeder Hygiene Hohn, obwohl sie noch zu den besten 
gehören sollen, die in Safed Überhaupt vorhanden sind. 
Hier müsste, wenn die nötigen Summen zur Verfügung 
ständen, die bessernde Hand angelegt werden. Man 
sagte uns, dass Frau Dr. blidden in Amerika bedeu- 
tende Mittel nir die Schule gesammelt habe, welche sie 
der Älliauce zur Verfügung stellen wolle, wenn diese 
die Schule unter Garantierung ihrer bisherigen Eichtung 
tibemehme. Es wäre freudig zu begrüssen, wenn diese 
ausgezeichnete Anstalt so eine definitive Eegelung er- 
halten würde. 

XIX. 
Gegen ilittag kehrten wir von Safed nach Rosch 
Finah zurück, restaurierten uns dort ein wenig und 
brachen dann gegen ein Uhr auf, um noch am selben 
Tage Tiberias zu en'eichen. Wir hatten indessen dies- 
mal nicht so viel Glück mit den Pferden, wie beim 
ersten Teil des Rittes. Unsere Tiere waren gewöhn- 
liche Ackei^äule, nur daran gewöhnt den Pflug zu 



r 



— 136 — 

ziehen, und trotz aller unserer Anstrengung blieb das 
Tempo unserer kleinen Karawane ein sehr langsames. 
Wir ritten zunächst durch die fruchtbare Ebene, 
die den Hulehsee vom Meer von Tiberias trennt, und 
freuten uns an dem Eifer, mit dem die jüdischen 
Bauern von Rosch Pinah ihren Feldarbeiten oblagen. 
Dann führte uns der Weg an dem Chan Dschüb Jussüf 
vorbei, welcher, wie die arabische Sage erzählt, an der 
Stelle erbaut ist, wo Joseph von seinen Brüdern in die 
Grube geworfen wurde. Von da aus geht die Strasse 
jeme Stunde lang über graue Steinfelder, wo die Pferde 
fortwährend klettern mussten. Zahlreiche Ruinen da- 
zwischen gaben ein Bild davon, wie dicht bevölkert 
einst diese Gegend gewesen sein muss. Allmählich sind 
wir bis an den See gelangt und sehen vor uns die 
blaue Wasserfläche, an deren Ufer wir unseren Weg 
fortsetzen. Das Ufer um den See herum ist rings von 
massig hohen grünen Bergen eingeschlossen, hinter 
denen im Osten die hohen Gebirge des Hauran und in 
der Ferne der riesige Hermon sichtbar werden. Wie 
fruchtbar die Küstenebene sein muss, zeigen die wilden 
Gewächse, die als Gräser und Domengesträuche die 
ganze Fläche bedecken; so hoch geschossen ist hier 
das Unkraut, dass wir oft jeden Ausblick verlieren. 
Kleine Bäche, durch die unsere Pferde waten müssen, 
kreuzen häufig unseren Weg und ihr leises Rieseln be- 



— 137 — 

lebt angenehm die menschenleeren Flächen. Auf der 
ganzen Strecke bis Tiberias haben wir nm* eine kleine 
Ortschaft angetroffen. Ein einziges Beduinenlager 
ausserdem erinnert uns daran, dass ausser uns noch 
andere Menschen in dieser Einöde sich aufhalten; da- 
gegen sind wir bis Tiberias keiner anderen Karawane 
begegnet. Allmählich ist es dunkel geworden und die 
Sonne untergegangen, allein an ein Nachtlager im 
Freien ist für uns nicht zu denken, da uns dazu jede 
Einrichtung fehlt. Wir müssen also wohl oder übel 
weiter bis nach Tiberias, und da wir den schönsten 
•Mondschein haben, so ist dieser Ritt auch durchaus 
keine Unannehmlichkeit, im Gegenteil ausserordentlich 
romantisch und ansprechend. Die Gegend, die wir 
durchreiten, ist landschaftlich fast unvergleichlich und 
der wunderbare Eindruck wird allen Teilnehmern des 
nächtlichen Rittes unvergesslich bleiben. Der Mond 
stand klar am Himmel und erhellte die Nacht in einem 
Masse, wie es in einem nordischen Klima mit seiner 
dickeren Luft niemals vorkommen kann. Wir ritten 
bald näher, bald femer vom Ufer des Sees durch die 
jnit dichtem Gras bewachsene Ebene, rechts von uns 
die grünen Berge von Galiläa, bald niedrigen Hügeln 
gleich, bald zu Bergen von mehreren tausend Fuss an- 
steigend. Links von uns die weite Wasserfläche in 
schönstem Blau, leicht gekräuselt durch linde Winde, 



— 138 — 

in majestätischer Ruhe, die kein Schiflf unterbricht, ein 
weiter Spiegel, in dem sich die Berge und oft auch die 
Conturen unserer eigenen Karawane magisch wieder- 
spiegeln. Jenseits des Sees rings um demselben die 
Berge des Hauran, bald gelben Sand, bald starre Felsem 
zeigend und nur stellenweise durch grüne Gewächse 
geschmückt. In der Feme immer höher auf- 
steigende Gebirgszüge, bis weither der Libanon 
in einem seiner höchsten Gipfel, dem Hermon mit 
seinem schneegekrönten Haupt, hinüberschaut. Ueber 
der ganzen Landschaft aber der Zauber des klarsten 
Mondscheines in silberner Pracht, der den wunderbaren 
Kontlast zwischen der beinahe tropischen Vegetation 
um den See herum und dem fernen Schneefelde des 
Hermon noch besonders hervorhebt. Ist doch der See 
von Tiberias 208 Meter unter dem Meere, der Gipfel 
des Hermon 2680 über dem Meere, sodass der Niveau^ 
unterschied 2900 Meter gleich ca. 9000 Fuss beträgt. 
Man begreift, dass diese Höheunterschiede die Ver- 
anlassung geben, dass in der Landschaft von der Flora 
des ewigen Schnees bis zur subtropischen Flora die ver- 
schiedensten Abstufungen sich zeigen. Der Reiz aber* 
den diese Mondscheinlandschaft auf den Beschauer aus- 
übt, er lässt sich nicht in Worte fassen, nicht beschreiben, 
nur der Pinsel eines Malers könnte ihn wiedergeben. Uns 
Teilnehmern dieses Rittes wird er unvergesslich bleiben* 



— 139 — 

Kurz vor Tiberias treten die Berge ganz nahe a» 
den See heran, wir müssen einige 100 Meter hoch 
klettern, um, auf dem Gipfel angelangt, unten das Ziel 
unserer heutigen Reise, die berühmte Stadt Tiberias, 
zu erblicken, welche mit ihren weissen Häusern, mit 
den vereinzelten Palmen und den flachen, zum Teil 
grün bewachsenen Dächern im Mondschein einen zauber- 
haften Anblick gewährte. Eine halbe Stunde später 
ritten wir in die Stadt ein, an jeder Strassenecke von 
einem Hunde begrüsst, welche hier die Wachtpflicht- 
der Schutzmannsposten in den europäischen Städten zu? 
erfüllen scheinen. 

Tiberias, die Stadt des Talmuds, welche nach der 
Zerstörung Jerusalems eine so grosse Rolle in der Ge- 
schichte unseres Volkes zu spielen berufen war, ist 
jetzt ein kleines Städtchen von 5050 Seelen, der Mehr- 
heit nach, nämlich 3200 Juden, 1500 Muhammedaner, 
350 Christen. Unsere Glaubensgenossen, von denea 
1620 Sephardim, 1580 Aschkenasim sind, bilden nicht 
nur den stärksten Bruchteil der Bevölkerung, sondeni 
beherrschen auch den Bazar und drücken überhaupt 
der Stadt den Charakter einer ganz jüdischen auf. 
Daher kommt es wohl auch, dass Tiberias von allen? 
palästinensischen Städten nächst Haifa die reinlichste- 
ist. Obwohl den europäischen Begriffen von Sauberkeit 
noch nicht genügend, übertrifft doch der Jude, besonder» 



— 140 — 

der Sephardi, den eingeborenen Orientalen, den Mu- 
liammedaner wie den Christen, an Sauberkeit und 
Ordnungsliebe. Wie leider fast überall in den Städten 
Palästinas, gehören die wenigen stattlichen Gebäude von 
Tiberias den verschiedenen Missionsgesellschaften, be- 
-«onders der Scotch Mission, welche indessen auch hier 
unter den Juden wenig Erfolge aufzuweisen hat. Der 
jetzige Stadtai-zt ist ein Jude, Dr. Rothstein, der kürz- 
lich leider ergebnislose Anstrengungen machte, eine 
jüdische Schule ins Leben zu rufen. Der Versuch 
scheiterte an dem Widerstände der Rabbiner, ist in- 
dessen nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. 

Tiberias und seine Umgebung sehen ganz ägyptisch 
aus; das Klima ist tropisch und in Folge dessen auch 
die Flora, in welcher, wie in Aegypten, die Dattelpalme 
tiberwiegt. Der See gleicht dem Nil zur Zeit der üeber- 
schwemmung und die Stadtselbst mit ihren flachen Dächern 
und furchtbar engen Strassen, in denen kein Wagen fahren 
kann, sieht einer ägyptischen Landstadt ganz ähnlich 
und zeichnet sich nur durch ihre Reinlichkeit aus. 

In unserem Hotel, wo wir übernachten mussten, 
fanden wir nur mühsam Unterkunft, der Wirt war ver- 
reist, die Bedienung miserabel, aber es war dort ziem- 
lich sauber und die Betten genügend. Am nächsten 
Morgen durchstreiften wir die kleine Stadt und besuchten 
«den lebhaften Bazar. 



— 141 — 

Wir hatten uns einen Wagen von Haifa 
kommen lassen und brachen am anderen Morgen, 
früh auf. Der Weg führte uns an Miskene, 
Lübije, Esch-Schedschgra und Turän vorbei; in der 
Feme sahen wir den Tabor (heute Djebel et-Tür)^ 
liegen, der mit seinem grünen Rücken wie ein aus 
Thüringen oder dem Harz nach Palästina versetzter 
Bergzug aussah. Das Land ist ringsum von höchster 
Fruchtbarkeit, auch besser angebaut; Kefr Kenna, das^ 
wir dann passierten, hat ausgedehnte Fruchtgärten, 
an welche sich grosse Olivenpflanzungen reihen, die- 
von hier bis Nazareth reichen. Kurz vor letztgenannter 
Stadt rasteten wir an der Quelle Er-R6ne, wo wir* 
unsere Pferde tränken Hessen und Gelegenheit hatten, 
die etwas fremdartige, aber höchst anziehende Schön- 
heit der dortigen Frauen zu bewundern, welche als 
griechische Christinnen unverschleiert gehen. 

Nazareth, der Heimatsort des Stifters des Christen- 
tums, wo in den ersten Jahrhunderten der christlichen 
Zeitrechnung nur Juden wohnten, ist jetzt ein weitaus- 
gedehnter Flecken mit meist christlichen Insassen. Es 
zählt 9500 Seelen, darunter nur 3000 Muhammedaner 
und keinen Juden, da diese von den christlichen Be- 
wohnern nicht geduldet werden. Vor zwei Jahrea 
machte der Verein Lemaan Zion den Versuch, eine» 
jüdischen Schneider dort anzusiedeln, aber die Christea 



— 142 — 

misshandelten ihn und trieben ihn mit Gewalt aus der 
Stadt und es wurde deshalb der Versuch nicht mehr 
wiederholt. Die Stadt hat eine Menge christlicher 
Anstalten, starrt aber nichtsdestoweniger von ganz un- 
glaublichem Schmutz; auf dem Platze inmitten der 
.Stadt bleichten die Gebeine von nicht weniger als 11 
grossen Tieren, Kameelen, Pferden, Eseln und erzeugten 
^inen unerträglichen Geruch, der uns zur grössten Eile 
.antrieb. Durch musterhafte Reinlichkeit zeichnet sich 
dagegen das am Ende der Stadt gelegene deutsche 
Wirtshaus von Hcsselschwerdt aus, wo wir im Interesse 
-unserer Pferde eine zweistündige Rast hielten. 

Ein amüsanter Zwischenfall trug dazu bei, uns 
während unserer Ruhepause zu zerstreuen. Ein türki- 
ischer Polizeioffizier kam mit einem Dolmetscher und 
fragte grimmen Blickes nach unseren Pässen. Wir 
gaben ihm dieselben, aber ein Herr hatte keinen türki- 
schen Pass (Teskereh) und wir waren in Sorge, wie er 
^us der Verlegenheit kommen würde. Inzwischen kam 
-aber der deutsche Wirt, der dem Offizier sagte, dass 
wir alle Freunde von Herrn Ossowetzky seien. Sofort 
^ab der Polizist die Teskereh zurück, grOsste respekt- 
Tollst und verliess uns, ohne uns weiter zu belästigen. 

Um 5 Uhr Nachmittags ging es weiter; bald 
^enkte sich der Weg und wir durchfuhren die Ebene, 
welche im AHertum Emek Jisreel hiess, heute den 



— 143 — 

Namen Merdsch ibn Amr führt. lieber die Fruchtbar- 
keit dieses entzückend schönen Landteiles sprechen zu 
wollen, heisst Eulen nach Athen tragen, aber darauf 
sei doch hingewiesen, dass selbst diese reichgesegneten 
Fluren fast gar nicht angebaut sind. Wiederum legten 
wir eine weite Strecke im Mondschein zurück. Der 
Nordländer kann sich nicht vorstellen, wie hell hier im 
Süden der Mond scheint und welch zauberhaften Reiz 
das Funkeln der Sterne am tiei1}Iauen Firmament in 
solcher Nacht ausübt. Es war so hell, dass ich den 
kleinen Beklamschen Druck mühelos lesen konnte. 

Fünfzehn Kilometer vor Haifa stiessen wir auf die 
grossen Bauten, welche hier für die Eisenbahn, die 
Haifa und Acco mit Damascus verbinden soll, be- 
gonnen wurden. Wir fuhren über eine mächtige Brücke, 
welche das Bette des Kischon-Flusses überschreitet, 
und weiter an derTrace der Eisenbahn entlang, derenBau, 
wenigstens vorläufig, aufgegeben ist. Diese Thatsache 
ist sehr bedauerlich, um so mehr, da Mangel an Geld 
der Grund ist, während die Linien Haurän-Damascus 
Hud Damascus-Beirüt vollendet sind und sicherlich den 
grossen Getreideverkehr, der vom Haurän aus früher 
nach Acco und Haifa durch die Merdsch ibn Amr ging, 
an sich ziehen werden. In guten Jahren sah dieser 
Weg nach der Ernte täglich 5000 mit Haurän-Weizen 
beladene Kamele, während schon jetzt der Verkehr 



— 144 — 

stark nachgelassen hat. Die Gesellschaft, deren Mittel 
vor der Zeit ausgegangen sind, wbt eine englische, 
während die fertigen Bahnen französischen Aktienge- 
sellschaften gehören. Sollte England sich den grossea 
Einfluss entgehen lassen, den der Besitz dieses Schienen* 
Weges in Palästina und Syrien ausüben kann? 

Spät Abends fuhren wir in Haifa ein, wo wir 
wieder im Hotel Kraft einkehrten. Der Rückweg nach 
Jaffa, den wir auf der bereits geschildeiten Beute 
nahmen, bot nichts Neues. 

XX. 

Gleich nach unserer Rückkehr von der galiläischen 
Reise fuhr ich von Jaffa aus zum zweiten Male nach 
Jerusalem. Ich will mich in dem folgenden Bericht 
völlig darauf beschränken, meine persönliche Meinung- 
und mein eigenes Urteil über die Menschen, Anstalten 
etc., sowie über die Verhältnisse der heiligen Stadt zu: 
geben, so wie ich sie sah. Diese Schüderung muss- 
sehr lückenhaft sein, denn ich sah nur einen kleinen 
Teil der vielen Sehenswürdigkeiten, ich lernte nur 
wenige der bedeutenderen Persönlichkeiten in der. 
heiligen Stadt kennen und vollends die Verhältnisse 
kann der Fremde nach 5 lägigem Aufenthalt fast gar 
nicht verstehen, aber andererseits sind die Auskünfte^ 
die man von unseren Glaubensgenossen in Jerusalem 



— 145 — 

erhält, so ausserordentlich widerspruchsvoll, um was 
auch immer es sich handeln mag, dass man bei der 
Wiedergabe sich der äussersten Vorsicht befleissigen 
muss. 

Mir erschienen die Verhältnisse der heiligen Stadt 
so verschieden von denjenigen des übrigen Landes, 
besonders aber unsere Glaubensgenossen in derselben 
so anders geai-tet, als die Juden in Jaffa und den 
Kolonien, dass man sich in ein anderes Land versetzt 
■glaubt. Jetzt konnte ich mir auch das Urteil so vieler 
Touristen erklären, die absprechend über das heilige 
Land urteilen. Dieselben sind eben von Jaffa mit der 
Bahn oder dem Wagen nach Jerusalem gefahren, haben 
sich dort einige Tage aufgehalten und glauben sich 
jetzt in der Lage, ein Urteil abgeben zu können. Wenn 
sie gute Beobachter sind, mag dieses Urteil auch richtig 
sein, aber es erstreckt sich nur auf Jerusalem und 
seine nähere Umgebung und kann nicht ftlr das ganze 
Land Palästina gelten. Die Verhältnisse sind eben 
ganz verschieden. 

Wenn man mit der Eisenbahn von Jaffa nach 

Jerusalem reist, führt die Schienenstrasse zuerst durch 

die Ebene von Saron, um dann ziemlich steil in die 

Berge von Judaea emporzusteigen. Rechts und links 

erheben sich steile Berge, ganz kahl anzusehen und 

nur hier und da zeugen vereinzelte Olivenbäume 

10 



— 146 — 

zwischen den Felsen davon, dass die alte Fruchtbarkeit 
des Landes, von dessen hoher Kultur die vielen 
Terrassenbauten Beweise liefern, noch nicht erstorben 
äst. Erst kurz vor Jerusalem bei Bireh sieht man 
dicht an der Bahn einen grossen Gemüsegarten, während 
rings umher einsame Oede herrscht. Der Besitzer 
dieses Terrains und der Landwirt, der darauf haust, 
machen mit den Lieferungen feiner Gemüse für Jeru- 
salem glänzende Geschäfte. Allmählich hat 4er Zug 
die Höhe des Gebirgskammes erreicht und fährt auf 
dem ziemlich ebenen Plateau. In der Feme werden 
«einige Häuser sichtbar, alle Passagiere eilen zu den 
Fenstern, es ist Jerusalem oder vielmehr eine Vorstadt, 
die jetzt dort auftaucht. Bald pfeift der Zug und fährt 
in den Bahnhof, ein einfaches, schmuckloses Gebäude 
von recht bescheidenen Dimensionen, hinein. Die not' 
wendigen Formalitäten sind rasch erledigt, der von 
unserer Ankunft verständigte Hotelier Kaminitz er- 
wartet uns mit einer Droschke und der am Ausgang 
des Bahnhofes aufgestellte Polizist wagt den „Prussiani** 
keine Bakschiachschwierigkeiten zu bereiten. Hier am 
Bahnhof fällt es uns noch schwer an, die Thatsache zu 
glauben, dass wir in Jerusalem sind; Eisenbahn und 
Droschken in der altehrwürdigen Stadt der Religionen, 
das ist ein zu grosser Gegensatz. 

Der Bahnhof liegt nicht sehr weit von der Stadt, 



— 147 ~ 

nur ca. 20 Minuten, aber wie verändert sich während 
der Droschkenfabrt die ganze Szenerie. Die Strasse 
geht etwas bergab und man sieht in die tiefen Schluchten, 
die bis auf eine Seite Jerusalem rings umgeben. Gross- 
:artige, wildromantische Ausblicke zeigen sich dem er- 
staunten Auge und die blauen Berge, die in weiter 
Ferne am Horizont sichtbar werden, sind die Berge 
Moabs, während man von dem liefen Einschnitt des 
Jordanthaies und dem toten Meere nichts wahrnimmt. 
Diese Landschaft ist Jerusalems würdig und hier 
•empfindet man die Schauer der Vergangenheit. Nicht 
lieblich, sondern schauerlich wild und zerrissen zeigen 
sich hier die Berge, sie zeigen die unvergleichlich feste 
Lage der' heiligen Stadt, die sie befähigte, so vielen 
Stürmen zu trotzen, und man denkt, unwillkürlich an 
die Hohnworte der Jebusiter, die sie König David zu- 
riefen: „Du wirst nicht hier hereinkommen, wenn Du 
nicht die Blinden und die Lahmen entfernest" (Samuel 
II. 5/6). 

Nach wenigen Minuten der Fahrt wird die Cita- 
»delle der Stadt sichtbar, eine mächtige Steinmasse, die 
ihren Stützpunkt an dem gewaltigen Davidsturm hat, 
jenem uralten Bauwerk, das nach der Sago von König 
David errichtet ist, während die Gelehrten in ihm den 
Turm Phasael finden wollen, von dem Josephus er- 
zählt, dass ihn Titus bei der Zerstörung Jerusalems 

10* 



— 148 — 

habe stehen lassen. Hinter der Citadelle kommt man 
beim Jaffa Thor vorbei, vor dem auf einem grossen, 
freien Platz ein lebhafter Verkehr herrscht. Durch 
dieses Thor betritt der grösste Teil der Pilger undi 
Reisenden aus Europa die heilige Stadt. Hier kommen 
auch die meisten Karawanen an, und es ist daher 
während der Reisezeit vor diesem Thore der Sammel- 
punkt desjenigen Teils der Bevölkerung, der von* 
Fremdenverkehr lebt. Hierher kommen die Dolmetscher 
und die Fremdenflihrer, die Pferde- und Maultier-Ver- 
mieter und die Kameltreiber. Zahllose Verkäufer voft 
Andenken, von Gegenständen religiöser Verehrung, vont 
Reiseutensilien etc. suchen hier die Fremden auf. Aber 
ausser für diese Geschäftsleute ist hier auch del* Sammel- 
punkt für die zahlreichen Bettler, die auf die Mild- 
thätigkeit der frommen Pilger und auf die Gutherzig- 
keit der reichen Touristen zu spekulieren gewöhnt sind.. 
Aber alle diese Geschäfte haben ihi^e Saison, nur 
während der Reisezeit, die im November beginnt, um» 
die Osterzeit ihren Höhepunkt erreicht und im Mal 
schliesst, lohnt es sich für diese Art von Industriellen 
vor dem Jaffa Thor die Fremden zu erwarten. In der 
übrigen Zeit des Jahres verwandeln sich die Fremden- 
führer und Dolmetscher wieder in kleine Händler oder 
Handwerker. Der Verkäufer der interessanten Schnitze^ 
reien, die die Fremden so gern zu kaufen pflegen, geht 



- 149 — 

nieder hinter die Drechslerbank, um seinen gelichteten 
Yorrat zu ergänzen, der Maultiertreiber zieht mit seinen 
Tieren hinaus auf das Land, um bei den landwirtschaft- 
lichen Arbeiten zu helfen, und die Bettler? ja die 
Bettler bequemen sich eben zu arbeiten, wenn sie nicht 
genug zusammengebettelt haben, um als Eentiers ein 
lialbes Jahr lang leben zu können. 

Wir besuchten Jerusalem zu seiner stillen Zeit in 
der zweiten Hälfte des Oktober und nichts hat uns so 
in Erstaunen gesetzt, als dass wir in dieser ihrer Bettler 
halber so berüchtigten Stadt, während insgesamt fünf 
Tagen Aufenthalts nur ein einziges Mal angebettelt 
wurden. Selbst der Platz vor dem Jaffa Thor war zur 
Zeit unseres Aufenthalts ganz leer von Bettlern irgend 
welcher Art. 

Vom Jaffa-Thor lenkt unser Wagen in die Strasse 
•ein, die nach der Jaffa- Vorstadt führt. Es ist dies die 
grosse Fahrstrasse, auf der sich vor Bestehen der 
Eisenbahn der hauptsächlichste Verkehr von und nach 
Europa bewegte. Die Jaffa-Vorstadt ist luftig gebaut 
und enthält eine Menge schöner Gebäude, aber sie 
leidet an einem grossen Uebel. Der Staub nämlich, 
der sich von den Kalkfelsen entwickelt, kann oft uner- 
träglich lästig werden. Die Jaffa-Strasse führt vorbei 
an dem grossen Complex, der unter dem Namen „der 
Eussenbau" bekannt ist, und eine Reihe grossartiger 



— 150 — 

Gebäude, darunter die russische Kathedrale, ein grosses^ 
Hospital und das russische Konsulat enthält, ausserdem 
aber eine der schönsten Gartenanlagen mit umfasst, 
die sich in der heiligen Stadt finden. Dann folgen 
eine Reihe von Konsulats-Gebäuden zu beiden Seiten 
der Strasse, einige jüdische Häuser-Kolonien, rechte 
das deutsche Konsulat, auf der andern Seite der Strasse 
die grosse Schule der „AUiance Israelite Universelle"" 
und endlich hält der Wagen vor dem Hotel Kaminitz^ 
vor dem wir absteigen. Das Hotel ist ein langge- 
streckter niedriger Bau, wo wir alle Bequemlichkeiten 
eines europäischen Gasthauses vorfanden; auch das 
Essen war vorzüglich. Eine hübsche kleine Anlage 
vor dem Hause erhöht durch ihr in der heiligen Stadt 
so seltenes Grün den anheimelnden Eindruck des ganzen 
Hotels. In dem Hotel verkehren die meisten jüdischea 
Reisenden, die nach Jerusalem kommen, doch auch 
sehr viele christliche Engländer und Amerikaner, und 
vielleicht mit Rücksicht auf diese Elemente, hat der 
Wirt den Plakaten der Mission so grossen Raum ein- 
geräumt. Immerhin ruft es bei den jüdischen Reisen- 
den doch ein sehr peinliches Gefühl hervor, auf Schritt 
und Tritt im ganzen Hause den Empfehlungen der 
Mission zu begegnen. Am andern Morgen machten 
wir uns daran, einige jüdische Institute aufzusuchen, 
an deren Besichtigung uns besonders lag. Unser erster 



— 151 — 

Besuch galt der Schule der ^AUiance Israelite Uni- 
verselle." Dieselbe zerfällt in zwei Abteilungen, die 
eigentliche Schule die 112 Schüler zählt, und die Hand- 
werkerschule in der 143 Knaben verschiedene Hand- 
werke lernen. Wir statteten der eigentlichen Schule 
nur einen kurzen Besuch ab, wobei wir wiederum 
Gelegenheit hatten, uns davon zu überzeugen, wie 
schwierig der Unterricht im Orient durch den Sprachen- 
wirrwarr wird. Da kommen zum Unterricht Kinder 
zusammen, deren Wiege in Russland gestanden hat und 
die nur den deutsch-polnischen Jargon sprechen, mit 
anderen, die aus dem fernen Arabien stammen, und 
nur den Dialekt Süd-Arabiens verstehen. Zwischen 
ihnen sitzen die Kinder der eingeborenen sephardischen 
Juden, deren Muttersprache spagnolisch ist, und Mog- 
hrebim aus Marocco mit ihrer fremdartigen Aussprache 
des Arabischen, die in Palästina fast garnicht ver- 
standen wird. Zu diesen verschiedenartigen Elementen 
kommen dann noch nichtjüdische Kinder hinzu, die 
arabisch, türkisch oder auch nur französisch sprechen, 
und so die babylonische Sprachverwirrung noch er- 
höhen. Es begreift sich, dass unter diesen Umständen 
es den Lehrern doppelt schwer wird, befriedigende 
Resultate zu erzielen, und besonders die nötige Disziplin 
aufrecht zu erhalten. In den oberen Klassen ist die 
Unterrichtssprache der „Alliance"-Schule französisch, 




— 152 — 

jedoch wird auch dem hebräischen, sowie dem arabischen, 
der eigentlichen Landessprache, ein breiter Raum ein- 
geräumt. 

Ungleich interessanter als die Besichtigung der 
Elementarschule war aber der Gang durch die Lehr- 
werkstätten, die ein besonderes Departement dieser 
Schule bilden. Mit grossem Verständnis sorgt die 
Leitung des Instituts dafür, dass Handwerke bevorzugt 
werden, die in der heiligen Stadt nur wenig vertreten 
sind. Es werden hauptsächlich gepflegt die Kunst- 
schlosserei, Stellmacherei, das Schmiedehandwerk, die 
Kunsttischlerei und Drechslerei. Eine besondere Auf- 
merksamkeit wird beim Unterricht dem Zeichnen ge- 
schenkt, und die Ausbildung in diesem Fache ist um 
so wichtiger, als die jetzigen Handwerker in Jerusalem, 
darunter auch die geschicktesten Drechsler, zwar häufig 
viel natürliche Begabung zeigen, aber immer die 
Schulung vermissen lassen, so dass besonders die Tier- 
gestalten zu ganz unmöglichen Karrikaturen werden. 
Der Anblick der vielen kräftigen Jünglinge, die in der 
Schule die zum Teil recht schweren Handwerke ausüben, 
ist ebenso erfreulich wie die Mitteilungen seitens der 
Direktion der Schule. Nach diesen ist das Fortkommen 
der bisher aus derselben entlassenen Zöglinge sehr gut 
gewesen. Die Schule liefert eine Menge von Arbeiten 
auch für nichtjüdische Institute und Privatpersonen, 



— 153 — 

2. B. erst kürzlich einen Wagen für den Pascha von 
Jerusalem und Kunstschlosserarbeiten für die armenische 
Elirche. 

Ausser der AUiance-Schule besuchten wir noch eine 
zweite jüdische Schule, die von Ephraim Cohen ge- 
leitete Lämmle-Schule, die jetzt von Frankfurt a. M. 
aus verwaltet wird. Dieselbe steht als Schule un- 
zweifelhaft weit über der AUiance-Schule, wozu freilich 
sehr bedeutend der Umstand beitragen mag, dass die 
Schüler zwar auch sehr viel Verschiedenartigkeit auf- 
weisen, aber doch nicht so viel als in jener Anstalt und 
ausserdem sich leichter an Deutsch als Unterrichts- 
sprache gewöhnen als an Französisch. Die Prüfung 
der vier Klassen, die teilweise noch in mehrere Ab- 
teilungen zerfallen, war uns eine wirkliche Freude. 
Sowohl in den Sprachen als in Eechnen und was bei 
«iner orientalischen Schule eine besondere Seltenheit 
ist, in Naturwissenschaft, Geographie und Geschichte, 
wiesen die Kinder gediegene Kenntnisse auf, so dass 
man die Resultate denen unserer besten Elementar- 
schulen in Deutschland an die Seite stellen kann. 
Diese Resultate bedeuten umsomehr, als die Sprach- 
schwierigkeiten hier einen lästigen Faktor bilden. 

Weniger zufriedenstellende Eindrücke als von dieser 
Schule hatten wir bei unserem Besuche im deutsch- 
jüdischen Waisenhause in Jerusalem. Es ist dies nicht 



— 154 — 

Schuld der Verwaltung in Jerusalem, sondern beruht, 
auf dem argen Mangel an Mitteln, der die Entwicklasg 
dieses Institutes behindert. Das Haus, in dem sich 
die Waisenanstalt befindet, bedürfte einer durchgreifenden 
Reparatur, insbesondere das ganze Holzwerk des Ge- 
bäudes verfault, wie es in diesem Klima überhaupt 
schnell geschieht, und müsste erneuert werden. Auch 
die Räume reichen bei weitem nicht für das Bedürfnis 
aus, und an Stelle der 26 Knaben, die zur Zeit in der 
Anstalt sind, müsste diese in der Lage sein, mindestens, 
die doppelte Anzahl aufnehmen zu können. Die Kinder, 
die jetzt die Wohlthat einer geordneten Erziehung ia 
dem deutsch-jüdischen Waisenhaus gemessen, sehen gut 
genährt aus und gehen sehr einfach, aber sauber ge- 
kleidet. Es bliebe zu wünschen, dass das Comitee 
des Waisenhauses in Frankfurt bald genügende Mittel 
fände zu einer durchgreifenden Ausbesserung und Ver- 
grösserung der Anstalt. 

Gelegentlich eines Privatbesuches bei dem allseitige 
beliebten Doktor des Vereins Lemaan Zion, Dr. Kri- 
schewsky, zeigte mir derselbe die Apotheke, sowie die 
Operationsapparate, die der Verein besitzt. Da waren sa 
viele blanke Zangen, Messer und andere Apparate vor- 
handen, dass uns fast unheimlich zu Mute ward. Die 
Sprechstunde wird übrigens täglich von circa 100 Patienten 
besucht und ebensoviel die Apotheke in Anspruch ge-r 



— 155 — 

nommen. Fieber und Augenleiden sind hier, wie übcralF 
in Palästina, die Hauptkrankheiten, die anderen kommeOi 
selten vor, auch die in Europa häufigen Lungenkrank- 
heiten, Diphteritis, Typhus sind hier selten. 

Das grösste jüdische Institut in der heiligen Stadt 
sind die Pilger- und Armenwohnungen. Dieselben 
liegen in der innem Stadt auf einem grossen, freien 
Platze und enthalten einige 90 Wohnungen für arme^ 
Familien, von denen je ein Drittel unter Angehörige^ 
der deutschen Gemeinde, der ungarischen Gemeinde^ 
und aller übrigen jüdischen Gemeinden verloost werden. 
Die Familien, denen diese Wohlthat zu Teil wird,, 
dürfen gegen ein geringes Entgeld die Wohnung be- 
nutzen und haben sich alle drei Jahre einer neuen. 
Auslosung zu unterziehen. Ausserdem sind eine An- 
zahl von Zimmern mit vollständiger Einrichtung vor- 
handen, die von den durchreisenden europäischen Juden 
benutzt werden können. Reiche Glaubensgenossen in. 
Europa, insbesondere der Baron Eothschild in Frank- 
furt a. M. haben dort stattliche Gebäude errichten 
lassen, die den armen Familien der heiligen Stadt zur 
Verfügung stehen. Auch an Synagoge, Cisterne etc. 
fehlt es nicht. Von dem Fenster der Synagoge hat 
man einen schönen Blick auf den Tempelplatz. 

Unter den vielen interessanten Persönlichkeiten, 
die wir in Jeiiisalem kennen lernten, hebe ich denn 



— IM — 



Salant 

i*rr:r. nh ir^ vir *J:*e lLT>r*T^ UrKTredang hattoi. 
L'> I:2S5*rT>? Ezsii'*^i.:=x cl-^ses ^'n^^sr^ydbok Hannes 
isi ili: rrTii* irLjticiiresl ii»?r «r bestzt eineLeb- 

IjIi^^ iis 2j: rfr! ;1^^ «sirZKS Bbsst. als er in 
Virkliilieh i>t- Errr S£±i:i iramie uns Tor allza 
gT^tSi^T Le: ±:rll -': izkeru cii tr^ilie mis folgendes 
His:r.r)±^a: Siiia tct ^j Jahi^n habe er in Jerusalem 
elr^nal einez: r^ten Fre::::ie, eisen mssiselieni Rabbiner 
folgendes enj-f: Uen. als ihn: dieser aUeriei 3Iissbiäoche, 
-die er in Jemsalem fani Tzrtieli: «In Jerusalem glaube 
Deinen Angen nur halb. Deinen Ohren aber gamicht^ 
xor allen Dii:z»*n aber glaube Niemandem, mit dem Du 
sprichst- auch mir nicht!* Den gleichen Bat wolle er 
^ueh uns geben. Ich kann nor bestätigen, dass dies 
-die klügste Rede war, die ich in Jerusalem gehört 
habe, es ist für den Fremden ganz unmöglich, sich ein 
richtiges Bild von den jüdischen Verhältnissen in der 
heiligen Stadt zu machen, auch wenn er nicht wie wir 
-o Tage, sondern 5 Monat, ja vielleicht 5 Jahre dort 
verweilte. Man lasse sich, welche Sache man wolle, 
von 3 Leuten in Jerusalem schildern, immer wird man 
sie von 3 verschiedenen Seiten oft ganz widersprechend 
zu hören bekommen und nur in einem sind alle Teile 
-einig, dass nämlich alle Verhältnisse in Jerusalem 



— 157 - 

schlecht sind, ebenso dass alle anderen Juden in der 
heiligen Stadt, ausser dem, der gerade am Erzählea 
ist, eigentlich nichts taugen. 

Bei den verschiedenen Besuchen, die wir de» 
einzelnen Instituten abstatteten, hatten wir Gelegenheit, 
einen grossen Teil von Jerusalem zu durchwandern^ 
und so wenigstens im allgemeinen ein Bild von dem 
Aeussem der Stadt zu gewinnen. Die innere Stadt, 
die noch von der Eingmauer umgeben ist, hat einen 
durchaus orientalischen Charakter. Die Häuser sind 
nach der Strasse zu fest vermauert, man sieht nur 
kleine, enge Thore und selten Fenster. Die Strassen», 
sind schmal, und bei dem Mangel jeder Strassenpolizei 
recht schmutzig. Selten unterbricht ein grösseres Ge- 
bäude, eine Kirche, eine Moschee oder Synagoge die 
Einförmigkeit der kleinen Häuser. Der Bazar, der 
ziemlich umfangreich ist, zeichnet sich leider durcL 
seine ünsauberkeit aus. Die kleinen Läden, in denen. 
Waren von recht massiger Qualität feilgeboten werden, 
befinden sich zum grössten Teil in vollständig über- 
mauerten Gewölben, so dass sie gar kein natürliches 
Licht erhalten, sondern mit recht kleinen Gel- oder 
Petroleumlämpchen erleuchtet werden müssen. Die* 
Lämpchen dürften nicht allzu oft geputzt worden sein, 
denn abgesehen davon, dass das verwendete Gel und 
Petroleum nicht gerade das wohlriechendste ist, so 



— 158 — 

Tnaclit sich auch der Rauch recht unangenehm geltend. 
Ausserdem werden die verdorbenen Lebensmittel von 
*den Händlern einfach auf die Strasse geworfen und 
vermischen hier ihre Düfte mit denen der noch ver- 
laufsfähigen, aber ebenfalls oft genug unsere Nase be- 
leidigenden Nahrungsmittel und so wird der Leser 
mit mir bedauern, dass die Eothschild'sche Fabrik für 
Ätherische Oele, Bau de Cologne etc. am Meromsee 
und nicht auf dem Bazar in Jerusalem liegt. 

Viel respektabler repräsentieren sich die Vorstädte, 
in denen der grösste Teil der Europäer wohnt, und 
'«ich auch die meisten Wohlthätigkeits-Institute, Hospi- 
lÄler, Schulen, Waisenhäuser etc. befinden. Auffallend 
ist, dass unter diesen vielen Instituten die jüdischen 
;an Umfang, sowie an äusserer Schönheit soweit hinter 
den christlichen zurückstehen. Die Juden bilden die 
grosse Majorität der Bevölkerung. Sie sollten doch 
.auch nach aussen hin ein wenig repräsentieren können, 
•und wenn dies den Juden des heiligen Landes aus 
«eigenen Mitteln nicht möglich ist, so sollten doch die 
Juden Europa's, die mit ihren Geldern den Glaubens- 
genossen im heiligen Lande Wohlthätigkeits-Institute 
•errichten, daran denken, dass es hier, wo so viele 
christliche Sekten ihre Vertretung durch Patriarchen 
und Bischöfe haben, auch darauf ankommt, das Juden- 
tum würdig zu repräsentieren. Ohnehin ist es eine 



— 159 — 

bedauerliche Erscheinung, dass die Juden im sozialen 
Leben der heiligen Stadt einen so geringen Einfluss 
besitzen, obwohl ihnen nach ihrer Zahl zukäme, die 
Tonangebenden zu sein. In Wirklichkeit aber finden 
sie weder im Stadtrat, noch im Bezirksrat eine ihrer 
Zahl entsprechende Vertretung. Die Teilnahme am 
Handel, mit dem ganzen daraus sich ergebenden sozi- 
alen Einfluss haben die Juden ebenfalls den Christen 
überlassen, und so wirkt denn auf den europäischen 
Eeisendon, der nach Jerusalem kommt, selbst auf den 
jüdischen, nicht, wie es sein sollte, die heilige Stadt 
in erster Linie machtvoll ein als die Stadt des Juden- 
tums und des jüdischen Volkes. 

Eines freilich kann der heiligen Stadt keine noch 
so grosse Ungeschicklichkeit oder mangelndes Ver- 
ständnis der heutigen Juden nehmen, dass ist die Er- 
innerung an die gewaltige Geschichte, deren Schauplatz 
einst diese Stätten waren, die Erinnerung an die ver- 
lorene Grösse des jüdischen Volkes und den Tempel 
mit all seiner Grossartigkeit. Nur wer an der oft be- 
schriebenen Klagemauer, jenem düsteren Reste der 
alten Tempelmauem stand, wer am Freitag Abend die 
Tausen<le von Juden dort beten und die verlorenen 
Herrlichkeiten betrauern sah, kann die Gefühle ver- 
stehen, die diese gefallene Grösse in jedem denkenden 
und fühlenden Menschen, nicht nur im Juden wacli- 



— 160 — 

rufen. Das sind Gefühle, die man nur nachempfinden^ 
aber nicht niederschreiben kann. 

Als wir von der heiligen Stadt schieden, war uns 
Allen neben jenen unaussprechlichen Gefühlen dos 
Schmerzes über den Contrast zwischen dem heutigen 
Jerusalem und der heiligen Stadt unserer Geschichte, 
nur das eine Gefühl klar, dass wir alle unsere Kräfte 
einsetzen wollen, damit das Jerusalem der Zukunft 
wieder die Stadt des jüdischen Volkes und seiner alten 
Grösse würdig werde. 

XXI. 

Von Jerusalem zurückgekehrt hielten wir uns in 
Jaffa nur noch wenige Stunden auf und gingen noch 
an demselben Tage auf das Schiff, das uns nach Port 
Said bringen sollte. Der Abschied fiel uns recht schwer, 
hatten wir uns doch in Jaffa dank der Liebenswürdig- 
keit unserer dortigen Freunde wie zu Haus gefühlt. 
Indessen wir waren 6 Wochen aus Europa abwesend 
und die Sehnsucht nach unseren Lieben daheim fing 
an sich geltend zu machen. Es erübrigt mir nur noch, 
ehe ich zu der Eückreise komme, eine kurze Schilderung 
derjenigen Kolonien, die wir nicht besuchen konnten. 

Kastinieh, die südlichste der jüdischen Ansiede- 
lungen, im alten Philistäerlande in der fruchtbaren 
Schefelah gelegen, wurde von bessarabischen Juden 



— 161 — 

angekauft, dann, als diese von dem Kauf zurücktraten, 
von dem bekannten Protektor erworben, welcher dort 
eine Verwaltung einsetzte und auf einem Teile des 
Terrains durch Tagelöhner Getreidebau treiben lässt, 
auf einem anderen Pflanzungen angelegt, den Rest 
an Araber verpachtet hat. Auf dem Gute, welches 
7000 Dunam = 640 Hectar gross ist, stehen ein 
steinerner Stall und einige 20 Holzhäuser, die sich hier 
ganz gut bewähren sollen; auch die Gebäude der Ad- 
ministration sind aus Holz. Der Boden ist im Ganzen 
vorzüglich für den Getreidebau geeignet, doch gedeihen 
auch die Pflanzungen, zumal eine grosse Baumschule» 
sehr gut. Wie viele Juden hier leben, ist nicht leicht 
anzugeben, weil die Zahl der jüdischen Tagelöhner sehr 
schwankt, doch ist die Gesammtziffer auf durchschnitt- 
lich 100 Seelen zu schätzen. Kastinieh ist von den 
Palästina- Vereinen zur Errichtung einer Getrejidebau-r 
Kolonie in Aussicht genommen. 

In Ober-Galiläa liegen noch einige Terrains, welche 
in jüdischem Besitz sich befinden und zum Teil bereits 
in Kultur genommen sind. Pekiin, eine uralte An- 
siedelung arabischer Juden, welche hier seit alten 
Zeiten Ackerbau und Handwerk treiben, zählt etwa 
30 Familien, welche aber zu wem'g Landbesitz haben 
und daher sehr arm sind, so dass viele von ihnen in 

den anderen Kolonien als Tagelöhner arbeiten. Ihr 

11 



— 162 — 

Ritus und ihre Kleidung sind sephardisch. Merön, ein 
der Gemeinde von Tiberias gehöriges Dorf, in dem 
man das Grabmal des B. Simon ben Jochai zeigt, und 
das alljährlich, am 33. Tage des Omer, der Zielpunkt 
grosser Pilgerfahrten ist, umfasst ca. 100 Hectar, auf 
denen etwa 24 000 Olivenbäume stehen und 20 jQdische 
Familien durch Feldarbeit und Handwerk ihren Erwerb 
finden. Machanajim, das dem Protektor gehört, liegt 
bei Eosch Pinah und wurde bis zu diesem Jahre an 
Araber verpachtet. Im vorigen Sommer hat man mit 
Anpflanzungen auch dort begonnen und einige Gebäude, 
Stallimgen etc. dazu errichtet. Das Areal umfasst 
10 000 Dunam = 900 Hectar. 

Ausserdem ist in der Umgebung von Bosch Pinah 
noch eine Anzahl von weiteren, zur Zeit noch an 
Araber verpachteten Terrains, insgesammt ca. 40 000 
Dunam, im Besitze des Protektors, dem auch das be- 
reits erwähnte Atlith in der Nähe von Sichron Jaakob 
gehört. In Judäa befindet sich ausser den erwähnten 
Kolonien das Gebiet von Kefr Saba (7500 Dunam), 
Artüf, die alte Station der Mission, und endlich das 
Jerusalem benachbarte Bama, wo man das Grab des 
Propheten Samuel zeigt, in jQdischem Besitz. Ein Ver- 
such, den man mit der Ansiedelimg yemenitischer 
(arabischer) Juden in Bama machte, ist leider an der 
Intervention der Begierung gescheitert, deren Erlaubnis 



— 163 — 

diese unerfahrenen Leate einzuholen versäumt hatten* 
Man ist jetzt damit beschäftigt, diese Erlaubnis zu be- 
«chaffen, um dann den Versuch zu wiederholen; denn 
»die YemeniteB geben mit ihrer Arbeitsamkeit und Be- 
dürfnislosigkeit ein sehr gutes Element für die Koloni- 
sation ab. Im Ganzen kann man — natürlich nur an- 
näherungsweise — den in jüdischen Bänden befind- 
lichen Landbesitz im Westjordanland auf ca. 20 000 
Hectar, das heisst 1 Prozent des Gesammtareais 
^schätzen. 

Seit einigen Jahren, d. h. seitdem die Erwerbung 
Ton Landbesitz im westjordanischen Palästina auf 
•Schwierigkeiten stiess, haben jüdische Gesellschaften 
•sowie der bekannte Gönner jenseits des Jordan im 
Dscholän und Haurän grosse Terrains erworben. Ge- 
3aaue Angaben darüber sind zur Zeit nicht zu erlangen, 
doch ist die Ausdehnung aller dieser Ländereien sicher 
Äuf 10 000 Hectar zu berechnen und sie vergrössert sich 
ibrtwährend durch Zukauf. Von den bekannten Ge- 
nossenschaften haben dort Land erworben: die eng- 
lischen Chowawe Zion bei Kunßtra, die von Jassy bei 
Kokäb, die Gesellschaften von Jekaterinoslaw, New- 
Tork und Montreal bei Sachem el-Djolän, die von 
Dublin bei GuUän, die von Chikago bei Mes@ra, endlich 
•die Glasgower bei Kokäb. Ausserdem hat der Pro-. 

itektor in Sachem, das sehr günstig nur 2Vs Stande von 

11* 




— 164 — 

el-Muz6rib, dem Endpunkte der Eisenbahn nach Da- 
mascus, liegt, eine Administration eingerichtet und lässf; 
die Schluchten des Jarmuk mit Pappeln bepflanzen« 
und aufforsten. Hierdurch sollen grosse Terrains^ 
wieder zu Wald gemacht werden. Weiter südlich be- 
sitzen Glaubensgenossen aus Safed, welche sich zu der 
Genossenschaft Bnei Jehudah zusammengethan haben, 
ein Areal von 25 000 Dunam am Jordan in der Nähe^ 
des Sees von Tiberias. Der Haurän ist seines Weizen* 
wegen berühmt, der schon jetzt trotz der schlechteir. 
Kommunikationswege einen grossen Exportartikel bildet 
und unzweifelhaft noch grössere Bedeutung gewinnenr 
wird, wenn die Eisenbahnen später billigere und sichere- 
Befrachtung ermöglichen. Die jüdische Kolonisation ini 
jenen Strichen wird denn auch in erster Linie Körner- 
bau zu treiben haben, in zweiter Reihe Maulbeer- 
plantagen und Seidenzucht und erst zuletzt Anpflan- 
zungen von Wein und Fruchtbäumen. Die Bedingungen 
der Kolonisation sind aber im Haurän günstigere, als- 
im Westjordanland, weil der Boden sowohl, als auch* 
die Lebensmittel billiger sind und die Eisenbahn deiv 
Verkehr mit Damascus und Beirut, somit den Absatz 
der Produkte sehr erleichtert. Ich glaube, dass gerade- 
dieser , Teil der Kolonisation in nächster Zeit einea 
grossen Aufschwung erwarten darf. 

Ueber die jüdischen Bewohner in den Städten^ 



- 165 — 

welche ich nicht einzeln erwähnte, seien noch einige 
Zahlen hinzugefügt. Es wohnen in 

•Oaza 17 675 Seelen darunter 75 Juden, 460 Christen 



Ramleh 


9611 


n 


ft 


166 


f) 


1095 


n 


Lud 


7 689 


« 


n 


14 


w 


2 225 


» 


Näbülüs 


21110 


9t 


rt 


120 


V 


670 


110 Samaritaner 


Kerak 


4150 


» 


»» 


30 


r> 


4 000 Christen 


Es-Salt 


3 500 


»» 


« 


6 


n 


? 


» 


Medeba 


• 


« 


V 


2 


n 


9 

* 


r> 


Hebron 


14295 


M 


ft 


1429 


w 


26 


« 






i 


/ 810 


Sepbardim ' 


\ 








\ 


V619 A schkenasim . 


} 





Alle Zahlen im Orient sind natürlich nur schätzungs- 
weise angegeben, doch muss man von vornherein gegen 
die der Missionen einen starken Zweifel hegen mid man 
wird gut thun, immer die niedrigeren anzunehmen, da 
die Missionen und die Christen, zumal in Jerusalem, 
dazu neigen, die Zahl der Juden zu übertreiben. Die 
Gesamtziffer der Juden im heiligen Lande glaube ich 
nicht höher als auf 50 000 Seelen veranschlagen zu 
dürfen, d. h. 10—12 pCt. der Gesamtzahl der Be- 
wohner Palästinas. Li den Dörfern wohnen als Kolo- 
nisten, Beamte und Tagelöhner, wie ich glaube schätzen 
zu dürfen, zur Zeit 5500 Seelen, obwohl auch diese 
Ziffer nur als Durchschnitt gelten kann, da die Zahl 
der Tagelöhner sehr schwankt. 





— 166 — 

XXU. 

Am 5. November traten wir die Eückreise an^ 
welche wieder über Port Said festgesetzt wurde, nach- 
dem wir unseren ursprünglichen Plan, über Konstanti- 
nopel zu reisen, aufgegeben hatten, weil man in Jafla- 
sich unter der Wirkung des Alles vergrössemden Ge- 
rüchtes von den Armenier-Unruhen in der Hauptstadt 
des türkischen Eeiches eine ganz falsche Vorstellung^ 
gemacht hatte. Dasselbe ist übrigens auch umgekehrt 
der Fall: der sogenannte Drusen- Auf stand im Haurän» 
machte in den deutschen Zeitungen so viel von sich 
reden, dass man annehmen sollte, es handle sich um 
Haupt- und Staatsaktionen. In Wirklichkeit sind es- 
Ausschreitungen weniger Hunderte, die fast immer vor- 
kommen und im Lande selbst wenig Aufsehen erregen;. 
Das eigentliche Palästina wird sehr wenig davon be- 
rührt, nur an der Brücke Dschisr benät Jaküb bei 
Mischmar ist ein türkischer Posten aufgestellt, um di& 
Drusen an der Ueberschreitung des Jordans zu hindern. 
Dieser Posten bestand Ende Oktober, als wir dort 
waren, aus 6 Mann Gendarmerie, während in ruhigeft 
Zeiten nur einer dort stationiert ist. Man wird zu- 
geben, dass ein Aufstand, der eine so riesige Macht- 
entfaltung veranlasst, nicht allzu tragisch zu nehmen 
ist. Palästina selbst ist dagegen vollkommen, man 



— 167 — 

könnte sagen musterhaft ruhig, man reitet unbewaffnet 
und ohne Eskorte durch das ganze Land, und selbst 
für das fanatische Näbulüs, wo der einzige Excess 
stattfand, welcher während dieser Periode der Unruhen 
und Aufstände im türkischen Eeiche in Palästina vor- 
kam, erklärte der deutsche Consul in Jerusalem Waffen 
oder eine Eskorte für einen „unnötigen Luxus." Wir 
selbst baten keinerlei, Waffen mit uns geführt, sind oft 
in kleiner Anzahl in arabischen Dörfern gewesen, sehr 
oft mit den Arabern, Fellachen und Beduinen zusammen- 
getroffen und haben nicht die geringste Unannehmlich- 
keit erfahren. Die Unsicherheit der orientalischen 
Strassen etc. ist eben, was Palästina betrifft, eine Fabel; 
sicher kommen auf Landstrassen in Deutschland viel 
mehr Raubanfälle etc. vor, als in Palästina. 

Da wir nun unsere Heimreise wieder über Italien 
machten, so bestiegen wir in Port Said den deutschen 
Ostasien-Dampfer „Karlsruhe" vom Norddeutschen Lloyd, 
der uns nach dreitägiger, sehr angenehmer Fahrt nach 
Neapel brachte, von wo wir per Bahn in drei Tagen 
nach Berlin zurückkehrten. Hätten wir die Landreise 
ohne Unterbrechimg gemacht, so würden wir Berlin 
von Neapel in 48 Stunden erreicht haben. Einen so 
raschen Uebergang von der Sommer-Temperatur in 
Egypten und Palästina und der Witterung eines freund- 
lichen Herbstes in Italien bis zu dem Schnee, der auf 



— 168 — 

den Tyroler Alpen lag, in einer Woche durchzumachen, 
hat einen eigenen Reiz; freilich wird es dem Reisenden 
schwer, sich an das nordische Klima wieder zu ge- 
wöhnen, aber die Erinnerung an die schönen wärmeren 
Länder, die man soeben verlassen, gräbt sich um so 
tiefer in das Gedächtnis ein. 

Die Rückreise bot uns Gelegenheit, die grosse 
Fülle von Eindrücken, welche unterwegs au£ uns ein- 
wirkten, zu sammeln und zu ordnen. Wir konnten nun- 
mehr prüfen, in wie weit unsere Erwartungen über- 
troffen oder enttäuscht wurden, denn wir waren ja 
nicht unvorbereitet hingegangen, sondern hatten schon 
seit langem jede sich irgend bietende Gelegenheit be- 
nutzt, um unsere Kenntnis Palästinas so zu erweitem, 
wie dies aus Büchern und Briefen möglich ist. Den- 
noch entsprach dasjenige, was wir gesehen haben, nach 
keiner Richtung hin unseren Erwartungen, aber in den 
meisten Fällen war die Enttäuschung eine sehr an- 
genehme. Wir fanden das heilige Land gar nicht so 
orientalisch, wie wir vorausgesetzt hatten, wohl aber 
fast in jeder Richtung vorgeschrittener, als wir geglaubt. 
Die Verkehrsmittel sind nicht so gut wie in Europa, 
aber doch weit ausgebildeter, das Reisen viel bequemer 
und die Verpflegung ungleich besser, als wir früher an- 
genommen hatten. Nur Post- und Telegraphenwesen 
sind noch sehr weit zurück und äusserst mangelhaft. 



— 169 — 

Indessen ist auch hier durch die jüdischen Kolonien 
und den lebhaften Verkehr zwischen denselben ein An- 
fang zur Besserung gemacht, indem die Beförderung 
der Briefe von den Hafenplätzen aus jetzt meist durch 
die Kolonisten erfolgt, die gelegentlich dorthin kommen. 
Natürlich gilt dies nur von den für Juden bestimmten 
Briefen. 

Es war uns längst bekannt, dass Palästina keine 
Wüste ist, wie man früher behauptet hat und Viele noch 
heute glauben. Aber dass das Land unserer Väter so 
fruchtbai' sei, wie dies in Wirklichkeit der Fall ist, 
das war auch uns neu und von grösster Wichtigkeit 
war uns, dies mit eigenen Augen zu beobachten. Nur 
wer selbst gesehen hat, wie in Judäa aus dem Sande, 
der einer Wüste gleicht, einfach durch den beharrlichen 
Fleiss und durch die auf Erfahrung gestützte Intelligenz 
eine fruchtbare Landschaft hervorgezaubert werden 
kann, der selbst gesehen hat, wie einer Oase gleich 
mitten in der Sandwüste das Dorf Rischon le-Zion liegt, 
auf einem Platze, der noch vor 15 Jahren eine öde, 
kahle Sandfläche war, nur der vermag es zu glauben, 
dass dieser Sand Judäas ein fruchtbarer Boden ist. 
In Galiläa freilich ist es anders, dort ist die Frucht- 
barkeit so gross, dass die üppige, wild wachsende Ve- 
getation von Gras und Unkraut Niemanden in Zweifel 
lässt, welche Riesenschätze in diesen verwilderten 



— 170 — 

Boden schlummern. Das Gebirge Juda scheint ein 
Steinmeer zu sein, auf dem nichts gedeihen könnte und 
nur die alten Terrassen zeugen davon, dass dort einst 
blühende Bodenkultur getrieben wurde. Aber wer in 
die Geheimnisse der palästinensischen Landwirtschaft 
eindringt, der erfährt, dass auch diese Steine frucht- 
tragenden Boden bedeuten, dass in allen Ritzen dieser 
Berge die Olive und andere Gewächse gedeihen, und 
wer von der grossen Strasse abseits das Land besucht^ 
der sieht Stellen genug, wo sogar die Trägheit der 
Araber diesem steinigen Terram reiche Anpflanzungen 
abzugewinnen vermochte. Man messe nur nicht Pa- 
lästinas gesegnete Fluren mit europäischem Masse, man 
verlange nicht Erfolge zu sehen, wie sie das deutsche 
Tiefland in seinen fruchtbaren Teilen bietet, sondern 
man passe seme Forderungen dem Orient an, man baue 
orientalische Pflanzen, züchte orientalische Tierrassen 
und man wird erstaunt sein, welch reichen Ertrag das 
Land bringt, nicht weniger als irgend eine Gegend 
Deutschlands ihren Bebauern zu bieten vermag. Wenn 
man aber vollends darauf verzichtet, sofort, in 3 oder 
4 Jahren Erträgnisse zu erzielen, wenn man Pflan- 
zungen anlegt, welche ihren vollen Ertrag erst in 8 
bis 10 Jahren geben, so ist das Resultat ein erfreu- 
liches, sind die Einnahmen für deutsche Begrifie gerade- 
zu enorme zu nennen. Noch eins aber darf nicht ver- 



— 171 — 

gessen werden: sehr viele neue Erfahrungen sind dort 
zu machen, es giebt noch so manche Kulturpflanze, die^ 
bisher in Palästina noch nicht rationell angebaut wird, 
obwohl sie vielleicht ganz gut gedeihen könnte. Hier 
wird noch mancher Versuch gemacht und manches^ 
Lehrgeld bezahlt werden müssen. Erfreulicherweise^ 
besorgt dies schon jetzt zu einem giossen Teile Mikweh 
Jisrae], die vortreffliche Ackerbauschule der AUiance^^ 
isra61ite. 

Zuden Fabeln über das heilige Land gehört auch die- 
Eede von der dort herrschenden Unsauberkeit undBettelei. 
Der Orientale ist nicht unsauberer, als die meisten Deut-^ 
sehen der niederen Stände, der orientalische sephar- 
dische Jude fällt sogar durch seine Reinlichkeit ange- 
nehm auf; wohl aber fehlt eine Polizei, wie wir sie- 
gewohnt sind, welche die öffentlichen Gebäude, Strassen, 
Plätze etc. reinhält. Doch ist dies nur in einigen 
Fällen sehr störend, im Allgemeinen lange nicht so 
lästig, als man sich in Europa vorstellt. Was die 
Bettelei anbetrifft, so ist uns dieselbe nicht begegnet, 
und es darf kühnlich behauptet werden, dass man ia 
Berlin öfter angebettelt wird, als es uns im heiligen 
Lande geschah. Mir sind während eines Monats nur 
drei Fälle vorgekommen, je einer in Jaffa, Jerusalem 
und Safed. Vielleicht liegt es daran, dass die jüdi- 



1 



— 172 — 

sehen Bettler es vorziehen ihr Geschäft brieflich mit 
dem Auslande zu betreiben. 

Was nun die nichtjüdische Bevölkerung des heiligen 
Landes und ihr Verhalten zu den Juden anbetrilBFt, so 
ist zunächst festzustellen, dass zwischen Muhammedanern 
und Juden ein fast immer sehr gutes, zwischen beiden 
einerseits und den Christen der verschiedenen Sekten 
andererseits ein häufig sehr schlechtes Verhältnis ob- 
waltet. So z. B. dürfen in Nazareth und Bethlehem, 
wo die Christen überwiegen, noch heute keine Juden 
wohnen. Mit der Regierung kommen die Juden im 
Allgemeinen gut aus, natürlich müssen sie das landes- 
libliche ,,Bakschisch" geben, sonst werden sie wohl 
.auch einmal belästigt; aber dieses Schicksal teilen sie 
mit allen anderen Landesbewohnem und die Höhe des 
Bakschisch ist noch erträglich. Ich selbst hatte Ge- 
legenheit zu sehen, wie ein türkischer Polizist bei 2 
Metalliqes (8 Pf.) schalt und schimpfte, sich nicht be- 
;stechen zu lassen erklärte etc., aber als er den dritten 
Metallique, also im Ganzen 12 Pf. erhielt, sich um- 
-drehte und verschwand. Major Conder erzählt von 
*einem Fall, wo ein Pascha durch eine Lederhose als 
Bakschisch zufriedengestellt wurde! 

Sehr bedeutsam ist die Thatsache, dass das ganze 
Land, zumal sein fruchtbarster Teil, Galiläa, eine sehr 
«pärliche Bevölkerung hat, man kann sagen, fast 



— 173 — 

menschenleer ist. Hier ist sicherlich noch nicht der 
zehnte Teil des anbaufähigen Landes bestellt, und in 
Galiläa allein können noch Hunderttausende als Bauern 
ihr Brot finden. Das Gleiche, nur noch in erhöhtem? 
Masse, gilt vom Haurän, aber auch der Süden, Judäa, 
obwohl nicht so fruchtbar und schon stärker bevölkert, 
hat noch viel leeren Platz für neue Ansiedler. 

Die Juden des heiligen Landes bilden keinem 
homogene Masse, über welche man gleichmässig urteilen 
könnte. Die Bauern auf den Dörfern, die Städter in 
Jaffa und Haifa, sowie in den kleinen Plätzen leben 
mit wenigen Ausnahmen von ihrer Hände Arbeit. In 
den übrigen Städten, in Jerusalem, Safed, Tiberias und 
auch wohl in Hebron, sind die Sephardim meist Hand- 
werker, Kleinhändler, Diener, Träger etc., die Spendea 
fallen nur ihren Eabbinem, den Chachamim, zu. Da- 
gegen ist unter den Aschkenasim die Zahl Derjenigen, 
die gar keine Chalukah nehmen, sehr klein, und die 
Masse Derer, welche nicht genug von der Chalukah 
erhält, um davon leben zu können, wird trotzdem durch 
dieselbe an das Bettelbrot gewöhnt, auch wenn sie in^ 
Uebrigen zu arbeiten genötigt sind, weil die Chalukah zu 
klein ist. Sieherlich ist, wie zur Zeit die Verhältnisse npch 
liegen, diese Chalukah eine Notwendigkeit, aber gerechter 
könnte Manches in ihrer Verteilung schon sein. Dies gilt 
in erster Linie gerade von der deutschen Chalukah. 



— 174 — 

Die Zukunft Palästina's liegt nach jeder Richtung^ 
ynd zwar nicht blo» für unsere Glaubensgenossea, in der 
EntWickelung der Kolonisation, welche heute der grösste 
Kulturfaktor im gelobten Lande ist. Für unsere Brüder 
aber ist die Ausdehnung der Landwirtschaft und im 
Anschluss daran auch der Industrie geradezu eine 
Lebensfrage, denn die Chalukah wird immer kleiner, 
«die Zahl der sie Beanspruchenden immer grösser, so 
dass auf den Einzelnen nur ein geringer und sich stetig 
vermindernder Teil entfällt. Es isr deshalb doppelt 
erfreulich, dass die Zukunft der Kolonisation mit gutem 
Hecht als eine geradezu glänzende bezeichnet werden 
darf. Alle Erfordernisse, welche ihr Gedeihen be- 
dungen, sind bis auf eines im heiligen Lande gegeben: 
^uter, fruchtbarer Boden, ausreichender Platz für grosse 
Neuansiedlungcn, genug arbeitseifrige Elemente unter 
den Juden, welche bereit sind, als Tagelöhner die Land- 
wirtschaft zu erlernen, um später Bauern zu werden, 
pnd endlich gute Vorbilder in den bereits bestehenden 
Kolonien des Protektors. Nur Eines fehlt im heiligen 
Lande: das Geld, welches alle die vorhandenen Kräfte 
erst segenbringend zu erschliessen vermag. Dieses 
Kapital zu beschaffen, mit dem man so vielen in ihrem 
"Gcburtslande bedrängten und verfolgten Glaubensbrüdem 
eine neue Heimat gründen und einen guten, ausreichenden 
Erwerb zu sichern in der Lage wäre, muss Sache jedes 



i 



— 175 — 

Preimdes des heiligen Landes, wie jedes Philanthropen 
sein, der sich ein Herz für die Leidenden und ße- 
iirängten bewahrt hat. Wenn meine Darstellungen 
hierzu beitragen werden, indem sie Vorurteile und Irr- 
tümer über das gelobte Land zerstreuen und richtige 
Anschauungen verbreiten helfen, dann hätte meine 
Heise nach Palästina nicht nur mir selbst hohen Genuss 
bereitet, dann hätte sie auch einen wirklichen Nutzen 
gestiftet, und eben dies ist mein sehnlichster Wunsch 
und meine stüle Hoffnung. 




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